Siegfried Wagner

An Allem ist Hütchen Schuld!

Rebecca Broberg (Sopran), Hans-Georg Priese (Tenor), Niklas Mix (Sopran), Alessandra di Giorgio (Sopran), Maarja Purga (Mezzosopran), Karlovy Vary Symphony Orchestra, PPP Music Theatre Ensemble München, Philharmonischer Chor Nürnberg, Ltg. David Robert Coleman

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Marco Polo
erschienen in: das Orchester 03/2023 , Seite 66

Es war seine letzte Inszenierung einer Oper von Siegfried Wagner mit Orchester: Peter P. Pachl, der Experte für romantische Märchenoper, verstarb im November 2021 nach kurzer Krankheit während der Proben zu Anton Urspruchs Oper Die heilige Cäcilia in der Henrichshütte Hattingen. Am 4. August 2022 feierte die von Pachl gegründete und von Friedelind Wagner unterstützte Internationale Siegfried-Wagner-Gesellschaft in der Villa Wahnfried ihr 50-jähriges Bestehen.
Die Weltersteinspielung der wie Humperdincks Hänsel und Gretel als „Märchenspiel“ untertitelten Oper An Allem ist Hütchen Schuld! entstand im Markgräflichen Opernhaus Bayreuth 2019. Wie schon bei Pachls Inszenierung des 1917 im Königlichen Hoftheater Stuttgart uraufgeführten „lustigen Märchendurcheinanders“ (Zitat Paul Pretzsch) am Theater Hagen 1995 erstaunt, dass Siegfried Wagners Oper mit über vierzig Anleihen und Collagen aus den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm neben Stephen Sondheims weitaus schlichter gebautem Longseller Into the Woods und dem viel üppigeren Humperdinck noch immer sträflich vernachlässigt wird.
David Robert Coleman liefert mit dem Karlsbader Symphonieorchester, welches natürlich seine hohen Fachkompetenzen für Dvořáks Poesie und Smetanas edle Tanzboden-Poltereien einbringt, eine feine, engagierte Leistung. Zwischen Siegfried Wagners Folklore-Verzerrungen und Volkslied-Amalgam von Brahms’scher Zartheit bewegt sich der Klangkörper. Das post-wagner’sche Pathos, jugendstilige Intimitäten und Siegfried Wagners in Hütchen mit besonderer Schönheit aufblühende Schwelgereien klingen nicht nur innig, sondern auch herb und mit schuberthafter Melancholie. Die vom Kinder-Kobold Hütchen (Niklas Mix) genasweisten und letztlich auf die richtige Spur gebrachten Hauptfiguren Frieder und Katherlieschen sind berechtigterweise keine Youngsters. Sie machen auf ihrer getrennten Reise zum zukünftigen gemeinsamen Lebensweg sogar Station hoch oben beim Sternenkind und tief unten bei des Teufels Großmutter.
Hans-Georg Priese ist ein kräftiger, sensibler und von innen leuchtender Singdarsteller. Rebecca Brobergs Sopran kennt das Leben und das Leid. Sie steht als Liebende hoch über der dem Katherlieschen zugeschriebenen Naivität und erzählt in der langen Partie bewegend von diesen Anstrengungen, um ein Glück zu gewinnen und mit Achtsamkeit zu hüten. Neben ihnen hat das PPP Musiktheater eine Besetzung, die Wagners fantastisch-lyrischen Märchengarten mit guter Diktion beackert und Prägnanz in den gesanglichen Phrasierungen zeigt. Bis schließlich der Philologe Jacob Grimm (Peter P. Pachl) selbst ein Machtwort spricht und die Handlungsfäden entwirrt, gerät die sich allen Details mit liebevoller Aufmerksamkeit widmende Einspielung zu einem eloquenten Plädoyer für Siegfried Wagner.

Roland Dippel