Rolando Villazón
Amadeus auf dem Fahrrad
Roman
Faszination Salzburg. Der Traum, ein berühmter Sänger zu werden. Geträumt in einer auf den ersten Blick musikfreundlichen Familie, die beim berühmten zweiten Blick der Musik nicht aus Passion, sondern aus Prestigegründen frönt, und dies ohne Zugangsberechtigung für den sangesfreudigen Sohn. Sein Vater nennt ihn immer wieder einen „Unfall“ – welch eine Bürde für einen jungen Menschen!
Vom Weg hinaus, vom Träumen, vom Scheitern, von der Freundschaft handelt Rolando Villazóns dritter Roman – vom Suchen und Finden. Der junge Mexikaner Vian Mauer versucht im Sommer 2015 seinen Traum von einer Sängerkarriere zu verwirklichen, reist auch tatsächlich mit einem Engagement nach Salzburg. Dort erlebt er die Festspielzeit gleichsam als Reise zum eigenen Ich, in einer sehr eigenen, anfangs bemüht, später sogartig poetisch wirkenden Sprache, die den Leser zunächst in ihrem schier überbordenden Farbreichtum sehr fordert. Der Statist Vian kann mitnichten den Sprung in die angestrebte Karriere verwirklichen, immer wieder stehen ihm seine Vergangenheit, die übermächtige Vaterfigur und der daraus resultierende Mangel an Selbstvertrauen im Weg.
Villazón schafft hier im Spiegel der Don Giovanni-Inszenierung, an der sein liebenswerter, chaotischer, unglücklicher, hilfloser Protagonist mitwirkt, gewissermaßen eine Komtur-Überformung, die der junge Mann mit Hilfe seines inneren Dialogs mit Mozart überwinden muss, um den Weg in ein selbstbestimmtes Leben zu finden. Die gewählte Ich-Perspektive suggeriert einen pseudo autobiografischen Zugang, lässt den Leser teilhaben an teils intensiven Gefühlen, die auch den Mut zum deutlichen Unwohlsein mit einbeziehen. Unwillkürlich leidet man mit und an Vian, seinen trostlosen Gefährten (genial gezeichnet: Vians teuflisches Alter ego, ausgestattet mit sämtlichen Eigenschaften, an denen es Vian mangelt, und stets unfassbar boshaft: Jacques; nicht greifbar, labil und doch ein wirkungsvolles Korrektiv: Julia) und seinem Vater. Villazón entwickelt seinen Protagonisten Vian geschickt. Als begnadeter Erzähler bildet er aus schier überbordenden Einfällen ein Psychogramm der Schwächen, die in kathartischer Feuersglut in einer filmreifen Verfolgungsjagd zum neuen Vian gewandelt werden und retrospektiv in ein versönliches selbstbestimmtes Leben führen. Natürlich in Salzburg.
Rollando Villazóns Roman ist eine Liebeserklärung an Salzburg, die Festspiele, die Musik. Und natürlich an Mozart! Sein „Dramma giocoso“ fesselt mit seiner filigranen Figurenführung, den zahlreichen Don-Giovanni-Spiegelungen, dem masettoesken Bezug zum Protagonisten. Wieder sehr sensibel aus dem Spanischen von Willi Zurbrüggen übersetzt, evoziert Amadeus auf dem Fahrrad eine Sehnsucht nach dem jugendlichen Ich, den verpassten Möglichkeiten, dem Ausbrechen aus vielleicht vorgezeichneten Bahnen: die Sehnsucht nach Farbe. Allen Farben.
Christina Humenberger