Weiss, Harald

Am Anfang war das Wort

für gemischten Chor (SSATBarB), Kinderstimme, Schlagzeug und Orgel, Partitur/Orgelauszug und Chorpartitur/Stimmensatz (Schlagzeug, Orgel)

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, Mainz 2014
erschienen in: das Orchester 02/2015 , Seite 72

Harald Weiss zeichnet eine vielseitige Musikerbiografie aus: Er war bzw. ist als Komponist, Schlagzeuger, Dirigent, Theatermusiker, Autor, Dozent und Regisseur tätig. Beeinflusst auch durch Aufenthalte im europäischen und außereuropäischen Ausland schrieb er eine große Anzahl von Werken vom Solostück bis zu Opern, eines seiner Projekte entwickelte er für die Expo 2000. Wichtige Merkmale für ihn sind zum einen eine Tendenz zur Innerlichkeit, zum anderen der Einbezug von Theaterhaftem. Der menschlichen Stimme und dem Schlagzeug kommen größere Bedeutung zu.
Dies gilt auch für das vom Rostocker Motettenchor in Auftrag gegebene und am 10. November 2013 uraufgeführte Chorwerk Am Anfang war das Wort. Weiss schreibt dazu: „Ich wünsche mir, dass der Hörer meine Komposition mit geschlossenen Augen, zumindest teilweise, wahrnehmen würde. Möglicherweise könnten dabei auch ein paar Lichtpartikel in seinem inneren Auge entstehen.“ Das Theaterhafte, Quasi-Szenische realisiert er z.B. durch Durcheinandersprechen des Chors, Aufteilung im Raum oder Anweisungen wie: „Wie hinter einem Schallvorhang“.
Zugrunde liegt der Hymnus-Prolog des Johannesevangeliums (1, 1-14) in einer modernisierten Übertragung, auch mit original griechischen sowie lateinischen Anteilen. Der siebenstimmige Chor ist durchsichtig geführt, die Textverständlichkeit ist garantiert mit Ausnahme der Stellen, an denen diese bewusst vermieden werden soll, wie z.B. beim erregten Suchen nach dem Wort „Logos“. Die Aufgaben für den Chor sind für bessere Laienchöre zu bewältigen, die Einzelstimme ist nicht schwierig. Benötigt werden gute Atemtechnik aufgrund des ruhigen Tempos und Intonationssicherheit, da die Klänge sehr offen liegen. Das Schlagzeuginstrumentarium wird von vier Spielern bedient, deren Funktion eher atmosphärisch als impulssetzend ist. Der Einsatz der Orgel beschränkt sich meist auf Liegetöne bzw. schnellere, albertihafte Figuren bei der Steigerung des Worts „Wort“ zu „Leben“ und „Licht“.
Weiss’ Schreibweise lässt sich der Neuen Einfachheit zuordnen. Diese liegt auf vielen Ebenen vor: Die Rhythmik ist – bei einfachen Notenwerten – überwiegend vertikal parallel geführt, das Tonmaterial bleibt meist modal, auch unter Einschluss von Dreiklängen, zuweilen tauchen Ganztönigkeit oder Andeutungen von Clustern auf. Die Form lässt sich anhand von Wiederholungen leicht verfolgen, der oben genannte steigernde Abschnitt erhält eine variierte Reprise.
Das Stück hebt auf Wirkung ab. Vor dem Finden des „Worts“ atmet der Chor hörbar und insistiert auf dem Konsonanten „m“, die universale Kraft des Heiligen Geistes führt der Chor durch ein explosionsartiges, lautes Sprechen aus. Die Mittel sind nicht unvorhersehbar, freilich dürften sie gerade in einem großen Kirchenraum ihre Unmittelbarkeit kaum verfehlen. Assoziationen zu Pärt oder Hamel liegen nahe.
Die Partitur enthält kein Vorwort, auch keine Erläuterungen, offenbar soll sich das Werk selbst mitteilen. Dies kann bei einer Komposition im Stil einer wirkungsvollen Neuen Einfachheit auch gelingen.
Christian Kuntze-Krakau