Franz Welser-Möst / notiert von Axel Brüggemann
Als ich die Stille fand
Ein Plädoyer gegen den Lärm der Welt
Zum 60. Geburtstag von Franz Welser-Möst ist im Wiener Brandstätter-Verlag eine lesenswerte Autobiografie erschienen. Der österreichische Dirigent begreift sie als „Wegweiser für die nächsten Generationen von Musikern“. In den von dem Journalisten Axel Brüggemann aufgezeichneten Erinnerungen setzt Welser-Möst sich kritisch mit seinem beruflichen Werdegang auseinander. Gleich im Vorwort rät er jungen Künstlern, sich nicht von ihren ersten Erfolgen blenden zu lassen.
Welser-Mösts internationale Karriere verlief nicht ohne Brüche. Als Kind wuchs er in Oberrösterreich mit Hausmusik auf, alle Familienmitglieder spielten ein Instrument. Er lernte Geige, besuchte das Musikgymnasium in Linz und strebte eine Orchesterlaufbahn an. Ein schwerer Autounfall im Alter von 18 Jahren durchkreuzte jedoch diese Pläne.
Fortan konzentrierte er sich ganz auf das Dirigieren. Nach Stationen in Winterthur, Lausanne und Norrköping in Schweden wurde er mit nur 30 Jahren Chefdirigent des London Philharmonic Orchestra – eine Entscheidung, die er letztlich bereute. Denn die britische Presse ließ kein gutes Haar an dem Newcomer. Nach langem Zwist mit dem Orchester gab er den Posten schließlich nach sechs Jahren auf. Weitaus positiver waren seine Erfahrungen am Zürcher Opernhaus während der Intendanz von Alexander Pereira. Als Generalmusikdirektor der Wiener Staatsoper fand er dagegen keine gemeinsame Linie mit dem damaligen Opernchef Dominique Meyer.
Offen spricht Welser-Möst über Erfolge und Rückschläge, ohne dass das Buch zu einer Abrechnung mit seinen Antagonisten wird. Ausgehend von persönlichen Erlebnissen reflektiert er seine Arbeit als Dirigent und die Rolle der Musik in der heutigen Gesellschaft. Als Chefdirigent des Cleveland Orchestra in den USA, wo sein Vertrag bis 2027 verlängert worden ist, beschäftigt er sich intensiv mit Education-Projekten für Kinder und Jugendliche aus allen sozialen Schichten. Wenn klassische Musik in der gesamten Stadt verbreitet werde, eröffneten sich den Menschen neue Chancen, glaubt er. Das Miteinander eines Orchesters habe Vorbildcharakter, wobei sich die Klangkörper auch immer der Frage nach ihrer Relevanz stellen müssten. „Es hilft wenig, auf traditionelle Rollen und Rechte zu pochen.“
Scharfe Kritik übt er an der „schrillen Vermarktung der Klassik und ihrer Konzerte“, einer vorrangig profitorientierten Eventkultur und dem schnellen Verheizen des Künstlernachwuchses. Die Gedanken des Dirigenten über Stille und Entschleunigung als Gegenpole zum hektischen, lärmenden Alltag sind der rote Faden, dem das Buch seinen Titel verdankt. „Das Ideal, das ich suche, bedeutet auch, der Musik Zeit zu geben“, bekennt Welser-Möst. „Mir ist es wichtig, lange gemeinsame Wege mit einem Orchester zu gehen. Weiter als jedes Mal nur bis zum nächsten Konzert.“ Die Auseinandersetzung mit den tagtäglichen Fragen sei der kleingepflasterte Weg zum großen Ganzen.
Corina Kolbe