Bruno Preisendörfer
Als die Musik in Deutschland spielte
Reise in die Bachzeit
Das vorliegende Buch beweist einmal mehr mit Nachdruck, wie sehr die mitunter ganz banal erscheinende Alltagskultur, das tägliche Mit- und Gegeneinander, das Leben des Menschen prägt und wie sich daraus, zusammengesetzt aus unübersehbar vielen wechselseitig aufeinander bezogenen Einzelheiten, der Geist einer Epoche definiert. Preisendörfer entführt den Leser ins Deutschland der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts: in die Zeit prächtig residierender Herrscher, aufstrebender Künstler, sich emanzipierender Wissenschaft und einer strikt ständisch-hierarchisch gegliederten Gesellschaft. In elf Großkapiteln werden praktisch alle wesentlichen Bereiche des damaligen Lebens thematisiert: die allgemeine politische Lage nach den lange weiterwirkenden Verheerungen des Dreißigjährigen Krieges, Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Hofhaltung einzelner Fürsten und Herrscher, das Leben in den Städten, auf dem Land und in der Natur als Projektionsfläche, die sich wandelnde Rolle der Kirche, die Musik und der soziale Status des Musikers, Kleidung, Mode, Körperpflege, Kosmetik und Medizin, Bildung an Schulen und Universitäten, das Zusammenleben von Mann und Frau, die Bedeutung von Kaffee, Schokolade, Tabak und Blumen zur Verschönerung des Alltags und vieles andere mehr.
Dies alles ist – von der ersten bis zur letzten Seite – unglaublich interessant und gut geschrieben. Der Leser wird in seiner Eigenschaft als Normalbürger angesprochen und abgeholt; er findet in jedem Kapitel direkten Anschluss, sieht sich mit Sorgen, Nöten, aber auch mit angenehmen Dingen konfrontiert, mit denen er selbst sein Leben lang zu tun hat. Und bei allen Freuden der damaligen Zeit ist er am Ende doch froh, im Hier und Jetzt zu leben; man lese nur die dankenswerterweise erst ganz am Ende platzierte Schilderung einer Augenoperation (der sich zum Beispiel Bach und Händel unterzogen haben).
Preisendörfer schreibt keinen Roman, sondern ein echtes Geschichtsbuch im besten Sinne, in dem auch von Musik die Rede ist; insofern verrät der Untertitel deutlicher als der Titel, worum es geht. Der Autor vertraut auf die unverfälschte Aussagekraft der zahlreichen Dokumente aus der damaligen Zeit, die er zitiert und ausführlich kommentiert, bisweilen mit einem erfreulich subjektiven Einschlag. Die Nachweispraxis ist für den wissenschaftlich geschulten Leser etwas gewöhnungsbedürftig. Der interessierte Laie freilich wird dankbar dafür sein, dass er sich nicht durch einen Wust von Fußnoten wühlen muss.
Im Anhang finden sich viele weiterführende Hinweise. Zudem sind die einzelnen Oberkapitel klug und sinnvoll mit Unterpunkten und Zwischenüberschriften gegliedert, sodass man bei der fortlaufenden Lektüre jederzeit problemlos Halt machen kann. Der Verlag hat dafür gesorgt, dass aus dem Manuskript ein schönes, geschmackvoll aufgemachtes Buch geworden ist, das keine Wünsche offenlässt.
Ulrich Bartels