Christoph Hempel
Alfred Brendel – Naivität und Ironie
Essays und Gespräche
Wenn ein Urgestein der „ernsten“ Klaviermusik ein Buch mit dem Titel Naivität und Ironie vorlegt, macht das neugierig. Der Titel erweist sich als lose inhaltliche Klammer für eine bunte Sammlung aus Essays, Werkanalysen, Gesprächen und Betrachtungen zur klassischen Musikepoche, bei denen es besonders um die Verbindungen zwischen Dichtung und Musik geht.
Im Goethe-Essay befasst sich Brendel mit Goethes Wirken in Weimar und den vielfältigen und vielschichtigen Kontakten zu Komponisten und Musikern seiner Zeit. Deutlich gemacht wird, wie stark der gegenseitige Einfluss zwischen Goethe, dem genialen Dichter, aber dilettantischen Musikliebhaber, und seinen komponierenden Zeitgenossen war und wie ambivalent das Verhältnis des Dichters zur komponierten Sprache war. Der Essay über Haydn, gegen Ende des 18. Jahrhunderts der berühmteste Komponist der Welt, stellt soziale und künstlerische Aspekte einander gegenüber. Haydns Leben markiert das Ende der Alimentierung von Komponisten durch Adelsfamilien. Haydns Bild ist zwiespältig: Er war zugleich Erfinder und Vollender des klassischen Stils. Klassische Strenge, Humor und Überraschung finden sich nebeneinander. Der Mozart-Essay macht deutlich, dass sich die Wahrnehmung Mozarts im Laufe der Epochen immer wieder gewandelt hat: kindlich-naiver Erfinder schöner Melodien, Schöpfer von Klavierkonzerten als Gipfel der Gattung, Komponist düster-dämonischer Opernszenen – alles findet sich in seinem Werk. Kühnheit und Schroffheit sind gepaart mit Vollkommenheit, oft im selben Musikstück.
Beethoven: Am Beispiel seiner Klaviersonaten setzt sich Brendel mit der Problematik der Spielanweisungen des Komponisten auseinander. Welche Rolle spielen Metronomzahlen und Spielanweisungen? Im Essay „Goethe und Beethoven“ räumt Brendel mit den Klischees auf, die den beiden großen deutschen Schöpfern seit jeher anhängen: der heroische Komponist, der olympische Dichter … Die Größe dieser beiden führt Brendel dagegen auf die unbegreifliche Vielfalt in ihren Werken zurück und die äußerst unterschiedlichen Charaktere beider stellt Brendel umfangreich und in humorvoller Weise dar. Den Schluss des Buchs bilden drei Gesprächsprotokolle. Im ersten wird die schillernde Künstlerpersönlichkeit Busonis betrachtet, das zweite, ein Gespräch über den Roman, benutzt Brendel zu ausführlichen Erinnerungen an seinen künstlerischen Werdegang. Im abschließenden Gespräch „Über das Altern“ öffnet er Rückblicke in ein langes Künstlerleben von ungeheurer Vielfalt und Intensität.
Christoph Hempel