Kordsaia, Manana

Alexi Matchavariani

Der Komponist und seine Zeit

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Wolke, Hofheim 2015
erschienen in: das Orchester 07-08/2016 , Seite 67

Dass sein Schaffen lebendig blieb und nach wie vor viel Beachtung findet, hat der georgische Komponist Alexi Matchavariani nicht zuletzt seinem Sohn zu verdanken. Vakhtang half dem Vater, die Oper Medea fertigzustellen und komponierte mit ihm gemeinsam die 6. Sinfonie; er hat zahlreiche Werke in Konzerten und bei Plattenaufnahmen dirigiert und jene „Schubladenwerke“ ans Licht der Öffentlichkeit gebracht, die zu Lebzeiten Alexis wegen Missgunst, Ignoranz oder politischer Zwänge im Verborgenen geblieben waren.
Aus Anlass des 100. Geburtstags im Jahr 2013 und des 20. Todestags Ende 2015 gab Vakhtang zudem die erste Buchveröffentlichung heraus, in der Manana Kordsaia anhand der umfangreichen Aufzeichnungen des Komponisten dessen Lebensweg und dessen einzigartige und berührende Musik beschreibt und eine farbige, faktenreiche und authentische Zeit-und Kulturgeschichte erzählt: „Die Geschichte von Georgien, von aristokratischer Romantik, Oktoberrevolution und georgischer Nationalbewegung, von musikalischer Avantgarde und der alten georgischen Tradition, von Anerkennung und Repression in der Sowjetunion, von großen Werten in einer Welt der Verwertung.“ Dabei wird Alexi Matchavarianis Credo besonders deutlich: „Suche das Neue und finde zum Ziel, indem du deine nationale Identität bewahrst.“
Tiflis und Leningrad, die heimatliche Landschaft und Kultur, die russischen Futuristen und die westliche Moderne, Tristan und Wozzeck, Mahlers Sinfonien und die „sowjetischen Klassiker“ Schostakowitsch, Prokofjew und Chatschaturjan hinterließen ihre Spuren; Shakespeares Stücke und die Poesie Georgiens lieferten Inspirationen und boten Stoffe. So wurden die Opern und Ballette, die Bühnen- und Filmmusiken, die Konzerte für Klavier und für Violine (mit ihnen wurde der Komponist um 1950 zuerst bekannt) sowie die sieben Sinfonien, die Chorwerke und die Kammermusik zu dramatischen Erzählungen und monumentalen Klangbildern, zu sensiblen Seelenzeichnungen und tragischen Zeitzeichen.
Am Konservatorium in Tiflis hat Matchavariani studiert und gewirkt, hier hat er den Bau des Konzerthauses und des Komponistenhauses in Suchomi bewirkt und die junge georgische Avantgarde gefördert. Und in Leningrad konnte er seine Ausbildung beenden und später am Kirow-Theater – ebenso wie am Moskauer „Bolschoi“ – Triumphe feiern. In Paris, Wien, Berlin und Mexiko sammelte er neue Eindrücke, und in Chicago und Mailand wurde er für seine Musik geehrt. Sein sehnlichster Wunsch aber, die Inszenierung des Balletts Der Recke im Tigerfell in Tiflis, blieb ihm zeitlebens verwehrt. Stattdessen wurde hier das Gastspiel des Leningrader Ensembles im Oktober 1989 zur Legende: Nach der umjubelten Aufführung lud Alexi Matchavariani die mehr als 200 Künstler zu einem großen Fest in sein Haus ein und zwei Tage später 120 Musiker, die in einer Mammutsitzung unter dem Dirigat des Sohnes die gewaltige 5. Sinfonie Uschba eingespielt hatten. Auch von solchen privaten Erlebnissen erzählt dieses Buch…
Eberhard Kneipel