Alexander Goehr
Piano Trio No. 2
Nighttown op. 100, Partitur und Stimmen
Er ist schon ein ganz besonderer Fall, dieser Alexander Goehr, geradezu prädestiniert für den berühmten Platz zwischen allen Stühlen. Geboren 1932 in Berlin als Sohn des Dirigenten Walter Goehr, eines Schönberg-Schülers, der sich engagiert der Förderung und Aufführung Neuer Musik widmete, wuchs Alexander in Großbritannien auf. Er studierte Komposition am Royal Manchester College of Music, gründete dort zusammen mit Peter Maxwell Davies und Harrison Birtwistle die New Music Manchester Group und begab sich 1955 nach Paris zum weiteren Studium bei Olivier Messiaen.Im Vereinigten Königreich galt er zu dieser Zeit als radikaler Avantgardist, da er dem dort vorherrschenden pragmatisch-klassizistischen Mainstream distanziert bis ablehnend gegenüberstand. Er besuchte die radikal modernistisch ausgerichteten Internationalen Ferienkurse für Neue Musik in Darmstadt, allerdings ohne sich die von seinen ehemaligen Pariser Studienkollegen Pierre Boulez und Karlheinz Stockhausen postulierte Forderung nach einem konsequenten und kompromisslosen Bruch mit aller musikalisch-ästhetischen Tradition zu eigen zu machen.Ganz im Gegenteil. In einem offenen Brief an Boulez schrieb er, dessen seiner Meinung nach ideologie-basierter serialistischer Ansatz bedeute eine bewusste Eliminierung der sinnlichen, dramatischen oder expressiven Elemente, in der Tat von allem, was aus populärer Sicht Musik ausmacht. Boulez wiederum revanchierte sich 1963, als er, damals bereits ein berühmter und gesuchter Dirigent, eine Aufführung von Goehrs Little Symphony mit den Worten ablehnte: So etwas dirigiere ich nicht! Wie klingt sie denn nun eigentlich, diese Musik zwischen den Welten?
Bei Schott ist nun das im Juni 2017 uraufgeführte 2. Klaviertrio op. 100 erschienen. Das 13 Minuten lange Werk trägt den Untertitel Nighttown und gliedert sich in fünf kurze Abschnitte: Entrance, Admonition of a Grand Lady [Mahnung einer großen Dame], Tripudium [Kriegs- oder Waffentanz], Lament, Departure. Gerne hätte man etwas mehr über das angedeutete Programm gewusst. Leider hat der Komponist davon abgesehen, der tadellos gehaltenen Notenausgabe ein paar erläuternde Worte beizufügen.Die Musiksprache ist, wenn man so will, traditionell in dem Sinn, dass Goehr gänzlich auf den Einsatz sogenannter neuer Spieltechniken (die in der Regel so neu ja gar nicht mehr sind) verzichtet. Die vorgestellten Motive sind einprägsam und von gestisch-expressiver Prägnanz, halb- und polytonale Elemente dominieren. Diese besonders im Lamento sehr ausdrucksstarke Musik teilt sich sinnlich-ästhetisch erlebbar mit, sie verzichtet getreu Goehrs Überzeugung auf jeglichen ideologischen Überbau, auf provozierende, grob verstörende oder gar erzieherische Elemente, ohne deshalb platt oder flach zu sein.Ist das nun konservativ? Und was ist in unserer heutigen, postmodernen, in vielem eher fortschrittsskeptischen Zeit eigentlich progressiv? Und am wichtigsten: Was kümmert das einen Künstler, der, wie Goehr, wirklich etwas zu sagen hat?
Herwig Zack