Say, Fazil

Alevi Dedeler raki masasinda

für Bläserquintett op. 35

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, Mainz 2012
erschienen in: das Orchester 03/2013 , Seite 68

Man kennt Fazil Say als einen Pianisten, dem das gängige Klavierrepertoire oft viel zu eng und “brav” erscheint; als einen Interpreten, der gerne eigene, hochvirtuose Bearbeitungen von Orchesterstücken in seine Konzertprogramme aufnimmt; und als einen Künstler, der sich und anderen Instrumentalisten fulminant wirkungsvolle Werke auf den Leib schreibt. Man darf Fazil Say dabei in seinem Wirken ganz gewiss als “Vollblutmusiker” bezeichnen. Gerne verwendet der 1970 in der Türkei Geborene in seinen mittlerweile schon knapp 50 Kompositionen türkische bzw. orientalische Instrumente, die seinen sowieso schon enorm farbenreichen Partituren weitere Tiefenschärfe verleihen und seine großangelegten Orchesterwerke wie in Töne gegossene 3D-Filme wirken lassen. Fazil Says Musik ist aber nicht nur auf Wirkung konstruiert – sie ist urmusikantisch, von rhythmischer Explosivkraft und reich an melodiöser Erfindung.
Das 2011 vollendete Bläserquintett op. 35 muss zwar mit einer kleinen, ganz klassischen Kammermusikbesetzung auskommen, dabei aber keinesfalls auf Wirkung verzichten, denn die oben beschriebenen Ingredienzen von Fazil Says Werken sind alle präsent. Und wenn man das bewegte Partiturbild vor Augen hat, dann kommt einem sofort der Gedanke an den Pianisten Say, der mit höchster Fingerfertigkeit über die Tasten seines Klaviers huscht. Doch statt zweier Hände “sprechen” hier fünf Stimmen, erzeugt vom Atem der vier Holzbläser und des Hornisten. Ein munteres Gespräch, eine gesellige Unterhaltung, eine lebhafte Diskussion bilden die vier Sätze ganz gewiss ab – darauf deutet auch der Titel Aleviten-Väter am Raki-Tisch. Nachdenklich oder besinnlich geht es da (wenn überhaupt) nur ganz kurz einmal im Andantino zu; in den übrigen drei Sätzen dominiert eher der durch Hochprozentiges inspirierte “verbale” Schlagabtausch.
Fazil Say setzt diesen Diskurs auf ganz eigene Art in Musik um: Immer witzig, pointiert, die Möglichkeiten von Flöte, Oboe, Klarinette, Horn und Fagott nutzend und mit einer auf kleinem Raum treffsicher zeichnenden Bläser-Tonsprache. Gegeneinander verschobene Metren und Taktschwerpunkte machen da zum Beispiel deutlich, dass eine lebhafte Unterhaltung eben auch einmal nicht nur einen Taktgeber hat. Und so schnell die Themen und Stimmungen in einer solchen Diskussion wechseln mögen, so kleinzellig ist dieses im Rahmen einer Residence von Fazil Say im Berliner Konzerthaus entstandene und dort auch uraufgeführte Bläserquintett aufgebaut. In kaum einer Viertelstunde Spieldauer erleben Interpreten und Zuhörer ein kleines Kaleidoskop an Farben und Stimmungen, Konturen und Bildern.

Daniel Knödler