Dvarionas, Balys
Album für Geige
Für Geige und Klavier, Band 1 und 2, jeweils Partitur und Einzelstimme
Ich glaube, dass es die Berufung eines Musikers ist, Schönheit, Tugend und Harmonie zu verbreiten, ebenso wie einen Menschen zu erziehen und ihn über den rein prosaischen Charakter des Lebens hinaus zu erheben. Meiner Meinung nach haben diejenigen Unrecht, die sagen, dass diese Haltung den Kontakt mit der Zeit verlöre. Während vieler tausend Jahre sind die Ideale der Menschheit in bezug auf die Tugenden die gleichen geblieben: Liebe, Wahrheit, Freiheit und Freundschaft. Es ist nicht aus der Mode, danach zu trachten. Formuliert hat dieses durch und durch konservative Credo der litauische Komponist, Dirigent und Pianist Balys Dvarionas. Geboren wurde er 1904 im lettischen Liepâja, beide Eltern waren Musiker. Dvarionas erhielt seine musikalische Ausbildung zunächst in Lettland und Litauen, studierte ab 1920 in Leipzig Klavier bei Robert Teichmüller und Komposition bei Sigfrid Karg-Elert, nahm später noch Klavierunterricht in Berlin bei Egon Petri und kehrte 1926 nach Litauen zurück. In seiner Heimat wandte er sich verstärkt dem Dirigieren zu und leitete in der Folge alle bedeutenden Orchester Litauens und der gesamten Sowjetunion. In der UdSSR genoss er hohes Ansehen und wurde u.a. mit dem Stalinpreis und dem Leninorden ausgezeichnet. Als Komponist blieb er seiner konservativen Überzeugung gemäß spätromantischer Tradition verhaftet, niemals verlässt seine Musik den tonalen Rahmen. Inspirationsquelle ist ihm zudem die litauische Volksmusik, deren Elemente und Spuren in seinen Kompositionen auftauchen. Er schrieb große Bühnenwerke, Instrumentalkonzerte, eine Symphonie, Kammermusik, Miniaturen. In Vilnius ist er 1972 gestorben.
Die mir vorliegenden beiden Bände enthalten verschiedene kurze Werke für Violine und Klavier aus den Jahren 1946 bis 1971. Es handelt sich um elegante, wirkungsvolle, hübsche Stückchen virtuosen oder sanglich-elegischen Charakters, gefällig und unkompliziert, mich öfters an Kabalewski erinnernd. Der geigerisch-virtuose Anspruch ist teils beträchtlich (Terz- und Oktavpassagen z.B. im Impromptu und im Allegro giocoso!). Die langsamen Miniaturen, das Pezzo elegiaco, die Elegia canzonetta, Meditation, Adagio bieten dem Geiger alle Möglichkeiten, auf seinem Instrument zu singen und romantisch-schwärmerische Belcanto-Qualitäten zu demonstrieren. Tänzerisch-folkloristisch geben sich ein Scherzino und die bereits erwähnten Impromptu und Allegro giocoso. Alles in allem also erbauliche Musik, die niemals aneckt, niemandem weh tut. Wer als Geiger ein wirkungsvolles, musikalisch unkompliziertes Schmankerl sucht, ist hier auf der sicheren Seite. Die Frage nach musikalischen Dimensionen jenseits von gefälliger Anmut lässt man am besten außen vor, ebenso wie diejenige, was denn nun zeitgemäß sei und was nicht. Aber das ist ja ohnehin ein weites Feld.
Herwig Zack