Matthias Krüger

Ain’t nuthin’ but fairy dust

Ensemble Ascolta, Ltg. Nicholas Kok, Ensemble Bruch, WDR Sinfonieorchester, Ltg. Elena Schwarz, Ensemble Inverspace

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Wergo
erschienen in: das Orchester 05/2022 , Seite 73

QR-Code scannen, Video oder Texttafel gucken, CD dazu laufen lassen. Ist diese CD ein interaktives Gesamtkunstwerk oder hat man schlicht Neue Musik, die ja recht sperrig sein kann, mit optischen Spielereien unterlegt? Haben nicht schon vor langer Zeit Komponisten ihren Werken Zitate aus der Literatur oder Verweise auf Bilder vorangestellt?
Am Anfang steht der Ton, deshalb zuerst die CD pur: Schon nach wenigen Minuten gerät man in die Sogwirkung der teils schroffen, teils entspannten, aber immer grandios ausgeführten Klänge ohne übermäßigen Schnickschnack. Auch ohne Erläuterungen und zusätzliches Video oder Texttafeln hat Le vide à perdre (für präparierte Trompete, präparierte Posaune, Drumset, Große Trommel, E-Gitarre, E-Cello und Live-Elektronik) viel zu bieten. Die Zeit vergeht wie im Fluge – das Ensemble Ascolta unter Leitung von Nicholas Kok schafft es spielend.
Schräge musikalische Ekstase, die brillant jaulende E-Gitarre, sehr präzise Bläser und sattes Schlagzeug geben gehörig was auf die Ohren, jenseits aller Genres und Schubladen, voller Spielfreude und mit sehr herausragendem musikalischen Handwerk. Die Elektronik verfeinert das akustische Treiben und feiert sich solistisch in der Mitte des Werks, um bald schon von den akustischen Kollegen fast humorvoll wieder ins Tutti geholt zu werden. Das Drumset beendet das Stück und erinnert an einen fiktiven akademischen Versuch eines nüchternen Keith Moons.
Wie ein Stück Fett beginnt mit einem gelesenen Text aus Gustav Meyrinks Roman Der Golem. Nach und nach werden Worte beim Lesen durch Sound ersetzt. Die Stimme von Marie Heeschen dominiert das gesamte farbige, spannende Treiben. Wieder gehörig was auf die Ohren, wieder ein pu-rer Genuss mit Sopran, Flöten, Violoncello und Klavier. Komponist Krüger scheint vor musikalischen Ideen zu bersten und weiß, wie er Klang inszeniert. Aus einem Anfangston entwickelt sich mit Hilfe des WDR Sinfonieorchesters unter Leitung von Elena Schwarz ein unendliches Geflecht aus Tönen, Strukturen, versteckten Zitaten. Die Bezüge zu Jack Kerouac, Allen Ginsberg und William Blake werden im Booklet aufgezeigt. Ist man nicht Freund:in dieser drei Autoren, erschließt sich die Musik trotzdem, denn sie ist packend, schillernd, voller Spannung und sehr gut eingespielt.
Ein viertes Stück, Sweep over me them dusty Bristles, gespielt vom Ensemble Inverspace (mit Flöte, Saxofon, Klavier/Synthesizer, Schlagzeug, Live-Elektronik, Zuspiel), ist ebenfalls gespickt mit musikalischen Zitaten und ebenso spannend und gelungen wie der Rest. Man findet es allerdings nicht auf der CD, sondern ausschließlich online über den QR-Code (S. 32 des Booklets). Es ist gehöriger Spaß mit musikalischem Tiefgang zum Schauen und Hören, erstklassig eingespielt und gearbeitet.
Mit den weiteren QR-Codes des Booklets wird diese CD noch ein bisschen bunter, man wird etwas aktiver in den Prozess des Hörens eingebunden – ohne ist die CD jedoch ebenfalls aussagekräftig und hörenswert.
Heike Eickhoff