Trompetenwerke von Vivaldi bis Dubrovay
Agitato
Tamás Pálfalvi (Trompete), Franz Liszt Chamber Orchestra
Tamás Pálfalvi bläst zur Attacke. Doch wo andere junge Trompetenvirtuosen den Hörer mit Haydn und High-Notes, Telemann und Trippelzunge, Bach und Barockglanz zu erobern suchen, da setzt der 24-jährige Ungar bei seiner CD-Premiere auf einen tonalen Parforceritt zwischen Vivaldis Vitalität, Kagels Kreativität und Ligetis Lautassoziationen. Das ist überraschend anders, das ist atemberaubend neu. Und in einem Musikmarkt, der gerne Vielgehörtes einfach aufpoliert, aller Ehren wert. Vor allem, da der Schüler des Trompete blasenden Belcanto-Königs Gábor Boldoczki die zeitgenössischen Kompositionen mit einer begeisternd musikantischen Spiellaune und atemberaubend sicheren Technik zur vollen Entfaltung bringt.
Agitato, so nennt Pálfalvi seine Erstlingsproduktion und fügt im Booklet hinzu: Vergnügliche und ernste Aufregungen für Trompete. Agitato, das heißt hier bewegt und unruhig. Bei dem ungarischen Trompeter heißt es vor allem Lust am Ausloten der tonalen Möglichkeiten seines Inst-
ruments. Sei es das Hoquetieren, der schnelle Wechsel zwischen Singen und Spielen, Schreien und In-die-Trompete-Schnaufen in Robert Ericksons Kryl oder der von Elgar Howarth kongenial arrangierte rhythmisch fesselnde Dialog zwischen Stimme, Klavier und Trompete in Ligetis Mysteries of the Macabre. Die Auseinandersetzung mit der menschlichen Todesfurcht in Ligetis Oper Le Grand Macabre wird hier allerdings fast gänzlich von beißender Ironie befreit und eher in eine bloße Parodie überführt.
Genau da liegt die Gefahr von Tamás Pálfalvis Agitato: Das Rasseln und Rauschen, das Prusten und Pfeifen scheint zuweilen mehr einer reinen Zurschaustellung eines jungen Ausnahmetrompeters zu dienen und weniger den Kompositionen. Da stellt sich schnell die Frage: Taugen die selten gespielten Werke eines Erickson oder Dubrovay (drittes Trompetenkonzert) eher als Fassade, ergänzt durch bekannte Pracht von Vivaldi, Händel oder Telemanns Sonatenkonzert in D-Dur?
Aber vielleicht muss man Pálfalvi einfach zugestehen, Freude am bravourösen Ausflug in die jüngste Trompetengeschichte zu haben. Er eröffnet neue Klangwelten, die man sich schon lange im Trompetenkosmos gewünscht hat. Das Franz Liszt Kammerorchester ist hier zuverlässiger Begleiter. Und ein barockes Kleinod mit Francesco Araias Cadró ma qual si mira aus der Oper Berenice ist auch noch dabei. Instrumentalisten hätten damals solche Stücke gerne aufgeführt, um ihre Kunst zu zeigen, schreibt Elisabeth Richter dazu im Begleitheft. In diesem Satz liegt die Quintessenz von Agitato. Tamás Pálfalvi mixt einen anregenden Cocktail aus mehr als 300 Jahren Trompetengeschichte. Agitato, das kann auch geschüttelt bedeuten nicht gerührt. So ist diese CD ein bisschen wie ein James-Bond-Film. Das Barock gibt es im flotten Dinneranzug und dazu ganz viel atemberaubende moderne Actionszenen. Der Held an der Trompete bleibt stets unverletzt, die kompositorischen Werke bieten die passende Kulisse dazu.
Christoph Ludewig