Bernard Jack Benoliel
Aedifico
Complete Works Vol. 1. Ensemble Insomnio, Ltg. Ulrich Pöhl
Der auf sechs Teile projektierte CD-Zyklus des Ensemble Insomnio widmet sich einem Vergessenen der jüngsten Vergangenheit. Bernard Jack Benoliel (geboren 1943 in Detroit Michigan, gestorben 2017 in Amsterdam) erfuhr erste Prägungen durch die Filmmusik Hollywoods. Er hinterließ ein schmales, aber seit seinem Studium der Komposition bei Stefan Wolpe trotz Unterbrechungen mit Stärke und Konsequenz gebautes Gesamtwerk.
Einen Großteil seines Lebens verbrachte Benoliel in London, wo er als Beauftragter des R.V.W. Trust für das künstlerische Vermächtnis von Ralph Vaughan Williams und die Verbreitung britischer Musik zuständig war. Er gehörte zu jenen umfassend literarisch gebildeten Musiktheoretikern, die Ideen und Anregungen aus dem Schaffen von Schopenhauer, Nietzsche, C.G. Jung und Thomas Mann zogen. Benoliel forschte über Szymanowski und zeigte eine große Faszination für die mittelalterliche Kirchenbaukunst, ohne selbst gläubig zu sein.
Die CD-Reihe beginnt mit dem 45-minütigen, dreisätzigen Invoking Sonic Stone op. 12 für Mezzosopran (Virpi Räisänen) und Tenor (Steven van Gils). Damit akzentuiert sie schon zu Beginn die Bedeutung theologischer Einflüsse für Benoliel. Der Text von Rabanus Maurus, im 8. Jahrhundert Abt von Fulda und Bischof von Mainz, setzt mit einer Konjugation des Wortes „bauen“ (lat. aedificare) ein: „Ich baue“ – „aedifico“. Er ist ein Lobpreis auf die durch den Heiligen Geist gesteigerte menschliche Schaffenskraft. Neben den gesanglich und deklamatorisch intensiven Gesangspartien zeichnet sich die „Beschwörung des tönenden Steins“ durch die seltene Kombination von Kirchenorgel und Schlagwerk aus.
Nach dem Nonett Boanerges op. 11 in der ungewöhnlichen Besetzung für E‑Gitarre, Klavier und Bläserensemble sowie dem einsätzigen Streichquartett op. 7 beschließt The Black Tower op. 2, eine Vertonung des Gedichts von William Butler Yeats für Mezzosopran und Kammerensemble, die erste Folge der Reihe.
Auffallend ist in diesen Kompositionen Benoliels Faszination für Denkmäler der Vergangenheit. Jedes der eingespielten Werke zeigt eine bemerkenswert hohe und substanzielle Verdichtung. In Hinblick auf die Auseinandersetzung mit Kompositionen vor allem der Spätromantik, deren harmonische Errungenschaften er mit hoher Eigenständigkeit weiterdenkt – wie in der Anwendung serieller Strukturen und elektronischer Verstärkung –, erinnert Benoliel an den 18 Jahre älteren Luciano Berio.
Im weiteren Verlauf der Edition unter Ulrich Pöhl wird sich erweisen, welche konzeptionellen Schwerpunkte der kompositorische Nachlass von Bernard Jack Benoliel außerdem enthält. Vorerst kann man davon ausgehen, dass Benoliels Werke sich eher durch hohe Gespanntheit als Unterbeanspruchung der instrumentalen und vokalen Ressourcen auszeichnet. Dem Ensemble Insomnio steht also eine intensive künstlerische Reise bevor. Mit dieser begibt es sich in ein echtes Abenteuer, von denen die Neue Musik des späten 20. und frühen 21. Jahrhunderts derzeit nicht allzu viele bereithält.
Roland Dippel