Werke von Puccini, Haydn, Milhaud, Sibelius und Kaufmann
Äcker des Ruhrgebiets
Eine Symbiose aus Slam Poetry und klassischer Musik. Jason Bartsch (Sprecher), Stefan Hempel (Violine und mus. Ltg.), Ensemble Ruhr
„Die Welt ist alles, was der Fall ist, und dieser Fall hat folgende Sachlage:/Im Ursprung eines harschen Schalles liegt Ästhetik, keine Krachfrage.“ Poetry Slam ist Wortkunst, die in der Regel live auf der Bühne vorgetragen wird und sich in ihren besten Momenten auszeichnet durch Sprachakrobatik, Timing, Hintersinn, Komik und Tempo. Ähnlich wie beim Rap-Battle tritt noch der Wettbewerbsgedanke hinzu: Wer schmiedet die besten Reime und gewinnt das Live-Duell für sich? Jason Bartsch, geboren 1994 in Solingen, kann auf so manchen Sieg bei lokalen Meisterschaften im Poetry Slam zurückblicken.
In Zusammenarbeit mit dem Ensemble Ruhr ist nun eine „Symbiose aus Slam Poetry und klassischer Musik“ entstanden, die die Geschichte des Ruhrgebiets, den Strukturwandel und die Zukunft einer Industrieregion in den Blick nimmt. In den Äckern des Ruhrgebiets, den Kohlegruben und Bergwerken wurde 2018 die letzte Tonne Steinkohle gefördert. Das 2012 gegründete (Streicher-)Ensemble Ruhr tritt ohne Dirigat auf und wird von den Musikerinnen und Musikern gemeinsam geleitet. Man arbeitet projektweise mit Gästen zusammen, diesmal mit dem Geiger Stefan Hempel als Konzertmeister.
Ein lokal verwurzeltes Ensemble, das gemeinsam mit einem lokalen Poetry-Slam-Künstler in einer Genregrenzen sprengenden Zusammenarbeit den Fokus legt auf Geschichte und Entwicklung der eigenen Region: beste Voraussetzungen für ein Kunstprojekt, das lokale Verankerung mit künstlerischer Höchstleistung verbindet. Tatsächlich sind die Einspielungen von Puccinis Elegie Crisantemi (in der Fassung für Kammerorchester), Haydns Violinkonzert Nr. 4 G-Dur (mit Stefan Hempel als Solisten), dem Streichquartett Nr. 1 op. 5 von Darius Milhaud und dem Impromptu für Streichorchester von Jean Sibelius durch das Ensemble Ruhr schmelzend und makellos.
Doch gerade hierin liegt der Grund, weshalb das Konzept nicht vollkommen aufgeht. Denn entgegen der Aussage im Booklet, die ausgewählten Kompositionen zeichneten sich „durch programmatische Klangsprache aus, die zur Geschichte des Bergbaus passt“, wird sich genau dies nicht jedem Hörer und jeder Hörerin erschließen. Klingt das nicht doch alles zu schön? Wo kann man die Assoziationen – Schmutz, Gefahr, Härte, Eisen und Stahl – wiederfinden, die sich beim Stichwort „Ruhrgebiet“ einstellen? Wo bleibt der Sound von Industrie und Arbeit? Der oben angesprochene „harsche Schall“ fehlt hier vollkommen.
Und auch die Lyrik von Jason Bartsch passt sich dieser Linie an: Vieles klingt mehr nach sehnsuchtsvoller Dichterlesung denn nach Poetry Slam. Einzig die Bearbeitung des Steigerlieds für Kammerorchester von Philipp Matthias Kaufmann, die die CD beschließt, bringt ein wenig Ruhrgebietsflair zum Klingen. So wünscht man den Interpreten mehr Mut zu Härte und Provokation – und für hoffentlich noch folgende Projekte: Glück auf!
Rüdiger Behschnitt