Peter Eötvös

Adventures of the Dominant Seventh Chord

For violin solo

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Schott
erschienen in: das Orchester 02/2022 , Seite 67

Der Dominantseptakkord, in Peter Eötvös’ Violinstück repräsentiert durch die über alle vier Saiten reichende Tonfolge g–e’–c”–b”, gehört zu den charakteristischsten harmonischen Gebilden der abendländischen klassischen Musik. Sein häufiges Auftreten ist gewöhnlich bedingt durch seine Funktion, auf einen Abschluss zu verweisen und durch Einführung der dissonanten Spannung einer kleinen Septime das Ende vorzubereiten. Was passiert aber, wenn man den Dominantseptakkord dieser Funktion beraubt, ihn isoliert, seine Bestandteile verändert? Oder ihn gar aus dem gewohnten Umfeld in eine andere Musiktradition verpflanzt?
Solchen Fragen geht Eötvös in seinem knapp zwölfminütigen Solostück nach: Immer wieder kehrt die Musik zum genannten Ausgangsakkord zurück, stellt ihn und seine intervallischen Bestandteile als Klangereignisse eigenen Rechts aus. Eine harmonische Auflösung verweigert der Komponist jedoch; stattdessen greift er in die ursprüngliche Konfiguration ein, indem er beispielsweise die Qualitäten der Zusammenklänge verändert, das e’ zum es’, das c” zum cis” oder das b” zum h” werden lässt. Oder indem er durch Einsatz von Wechselnoten die Akkordtöne in Repetitionen auflöst und in kleingliedrige Skalen und Arpeggien überführt, die nur noch vage die Konturen des Dominantseptakkords durchschimmern lassen.
Damit nicht genug, geht Eötvös noch einen Schritt weiter, indem er die Musik aus der Sphäre abendländischer Kunst in jene der siebenbürgischen Volksmusik kippen lässt. Dazu greift er – ähnlich, wie das vor ihm bereits George Enescu in seiner dritten Violinsonate und Karol Szymanowski in seinem zweiten Violinkonzert getan haben – auf ein Vokabular zurück, das der Musizierpraxis osteuropäischer Tanzgeiger abgelauscht ist: Fein ornamentierte, durch Glissandi angereicherte Phrasen, durch wechselnde Leersaiten mit Bordun- oder Hoquetuseffekten begleitete Melodiefolgen oder fintenreiche Klangfarbenwechsel auf Einzeltönen und Primklängen bestimmen den Fortgang der Musik, der sich letzten Endes als Reihung langsamer und rascher Tanzabschnitte entpuppt.
Und immer wieder ist in vielfach modifizierter Gestalt der Dominantseptakkord in diese Kontexte eingefügt: als eine Kippfigur, die einerseits in die Erwartungshaltung abendländischer Tonalität, andererseits aber auch in die Spielfreude folkloristischen Musizierens umschlagen kann und sich so als Scharnier für die Gegenüberstellung zweier unterschiedlicher Musikkulturen und damit jeweils verknüpfter musikalischer Diskurse entpuppt.
Dass Eötvös den Interpreten und Interpretinnen hierbei nicht nur allerlei griff- und bogentechnische Raffinessen abverlangt, sondern – teils unterstützt durch die ausgefeilte Notation von Artikulation, Dynamik und Vibrato sowie durch häufige Ausdruckswechsel – auch immer wieder an ihre klangliche Imaginationsfähigkeit appelliert, macht den besonderen Reiz dieser intelligent gemachten Bereicherung der solistischen Violinliteratur aus.
Stefan Drees