Philippe Racine, Franz Schubert

Adagio für Streichquintett, Streichquintett C-Dur D956

Walter Grimmer (Cello), 3G Quartett

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Solo Musica SM 331
erschienen in: das Orchester 09/2021 , Seite 91

Himalaya der Kammermusik, diesen Vergleich führt der Schweizer Komponist (und vorzügliche Flötist) Philippe Racine (*1958) an, wenn er von Schuberts Streichquintett spricht und sich in seiner Komposition Adagio für Streichquintett, welche der Cellist Walter Grimmer sich zu seinem 80. Geburtstag erbat, auf dieses einzigartige Werk bezieht.
Grimmer ist ein in der Schweiz anerkannter, seit über 50 Jahren tätiger Musiker, Lehrer und Ensembleleiter, der sich vor zwei Jahren den Traum erfüllte, Schuberts C-Dur-Quintett mit seinem 3G Quartett auf CD einzuspielen, samt Racines Adagio als Vorspiel. Das ist eine schöne Idee, dem romantischen Werk eine Einleitung zu geben, die es in einem zeitgenössischen Zusammenhang spiegelt. Racine hat ein ambitioniertes, in vielerlei Hinsicht auf Schubert bezogenes Stück Musik geschrieben, das der ziemlich einmaligen Besetzung mit zwei Celli viele interessante Klangfarben abgewinnt, sich darüber hinaus vielfältig auf die Krönung der Gattung bezieht. Triller, Pizzicati, plakative C-Dur-Akkorde und ein – nach der für Grimmer komponierten Kadenz des 2. Cellos – überleitender Ausklang auf der C-Saite.
Das um den Grimmer-Schüler Sébastian Singer erweitere 3G Quartett wirft sich mit seiner anerkannt hohen Kompetenz für Zeitgenössisches in diese Aufgabe, meistert diffizile Flageolett-Passagen sehr ordentlich, präzisiert die kontrastierenden Texturen anschaulich und nachempfindbar.
Schuberts Quintett will dann aber nicht so sehr gefallen, was vor allem daran liegt, dass der große musikantische, schon fast symphonische Bogen von allzu vielen exegetischen Details gestört wird. Es scheint, als ob Grimmer sich sein Leben lang an der recht verworrenen Quellenlage der Partitur abgearbeitet habe, dabei etliche Entdeckungen gemacht und wirklich sinnfällige Neuerungen eingeführt hat, wie etwa die Organisation der Expositions-Wiederholung im Kopfsatz.
Das Ensemble hat auch für einige andere Schnittstellen (etwa im Mittelteil des Adagios) spannende, neue Lösungen gefunden. Aber zu einem durch und durch homogenen, kantablen Ton, zu der Klangmagie der großen Vorgänger in der an Höhepunkten mehr als reichen Aufführungsgeschichte des Werks, finden die erfahrenen Kammermusiker nur selten.
Trotzdem bleiben spannende Momente im Ohr: wenn etwa die Gewichtung im Satz unvermittelt zu einer widerständigen Mittelstimme wechselt, die man bislang nicht so wahrgenommen hatte. Oder eine Melodie der Primgeige sich ins Bagatellhafte wendet. Und so fort. Der Hörer spürt, dass Grimmer Generationen von aufstrebenden Musikern mit seiner Erfahrung bereichert. Ein Vermächtnis, das in die Zukunft wirkt.
Armin Kaumanns