Adagio

Rubrik: Noten
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Der mehrfache Grammy-Preisträger José Serebrier stammt aus Uruguay und gru¨ndete bereits als Schu¨ler das erste Jugendorchester seines Heimatlandes. Später leitete er so bekannte Orchester wie das Russische Nationalorchester, das britische Royal Philharmonic Orchestra und das Philharmonia Orchestra (London). Auch als Komponist trat er fru¨h in Erscheinung. Seine erste Symphonie, die er im Alter von 17 Jahren komponierte, wurde von Leopold Stokowski uraufgefu¨hrt. Als seine bekanntesten Werke gelten heutzutage seine dritte Symphonie und die Fantasia for strings.
José Serebrier komponierte das vorliegende Werk Adagio for String Orchestra 1964, Anlass war ein bevorstehendes Aufnahmeprojekt mit dem finnischen Ensemble St. Michel Strings, das erst im Jahr 2011 realisiert werden sollte. Im Grunde genommen handelt es sich um eine Orchestrierung seines Chorwerks Vocalise, das er bereits im Alter von 15 Jahren komponiert hatte. Auch viele Jahre später konnte sich der Komponist nicht erklären, weshalb „ich als Teenager ein so trauriges Werk komponiert habe, obwohl ich eigentlich eine glu¨ckliche Kindheit hatte. Die meisten meiner fru¨hen Werke haben jedoch diese slawisch du¨stere Färbung.“
Betrachtet man den Titel der Komposition, denkt man unwillku¨rlich an Samuel Barbers Komposition Adagio for Strings, bei genauerer Betrachtung scheint jedoch der Einfluss der Vocalise des russischen Komponisten Sergej Rachmaninow größer. Der Komponist bestätigt diesbezu¨glich auch im Vorwort, „bei der Komposition meiner Vocalise Rachmaninows gleichnamige Komposition nicht gekannt zu haben. Sie sind sich nicht sehr ähnlich, allerdings gibt es eine gewisse Ähnlichkeit bezu¨glich Stimmung und Ausdruck.“ Doch da Serebrier erst kurz vorher eine eigene Orchestrierung der Vocalise von Rachmaninow mit dem Russischen Nationalorchester aufgenommen hatte, wurde sein kreativer Kompositionsprozess bestimmt dahingehend beeinflusst.
Das Werk dauert nur ca. drei Minuten und versetzt den Zuhörer vom ersten Takt an in eine traurig betru¨bte Stimmung; so steht als Vortragsbezeichnung gleich zu Beginn „Slow, with resigned serenity and as sad as possible“. Das Werk ist in vier Strophen bzw. Abschnitte unterteilt. Das Thema, das aus mehreren aufeinander folgenden Seufzermotiven besteht, wird jeweils von den zweiten Geigen eingefu¨hrt und im weiteren Verlauf von den anderen Stimmgruppen u¨bernommen und weiterentwickelt, bis es etwa zur Mitte des Werks zu einem Gefu¨hlsausbruch kommt. Doch Resignation und Traurigkeit scheinen nicht besiegbar zu sein – genau in dieser Gefu¨hlslage endet die Komposition.
Technisch stellt die Komposition keine u¨bermäßig großen Anspru¨che an die Interpreten, sodass diese sich ganz auf die Klanggestaltung und das intime Zusammenspiel konzentrieren können.
Mano Eßwein