Don Cherry/Krzysztof Penderecki

Actions

Don Cherry, Loes MacGillycutty, Mocqui Cherry, The New Eternal Rhythm Orchestra, Ltg. Krzysztof Penderecki

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Intuition
erschienen in: das Orchester 7-8/2025 , Seite 78

Der Jazzsaxofonist Ornette Coleman hat am 19. und 20. Dezember 1960 Gunther Schullers aus kurzen Tonbewegungen, eruptiven Momenten und Jazzpassagen bestehende Kompositionen Abstraction und Variants on a Theme of Thelonious Monk eingespielt. Am 21. Dezember nahm er mit einem Doppelquartett, dem unter anderem der Trompeter Don Cherry angehörte, das eigene Werk Free Jazz auf – gerade so, als wolle er sagen, ähnliche Klänge könnten Jazzmusiker:innen auch auf der Basis von Lead Sheets entwickeln. Bei Krzysztof Pendereckis Action war es umgekehrt: Der Pole hatte 1969 in Donaueschingen Alexander von Schlippenbachs Globe Unity Orchestra gehört und beschlossen, für die freier und experimenteller als klassische Orchestermusiker intonierenden Jazzmusiker eine Partitur aus komponierten „Free“-Passagen zu schreiben und deren Umsetzung zu dirigieren.
Mit Don Cherrys New Eternal Rhythm Orchestra konnte Penderecki auf den Donaueschinger Musiktagen 1971 dieses Projekt umsetzen. Sein Experiment erregte Aufsehen. Weiter verfolgt hat er das Konzept der dirigierten Free-Intonationen und stellenweisen Free-Improvisationen indessen nicht. Er blieb ebenso bei seinem Leisten wie Don Cherry, der zwar 1967 mit einer Symphony for Improvisers eine strukturiertere Free-Jazz-Variante vorlegte, in den Folgejahren aber seinen Ensembles große Freiheiten bei der Ausführung seiner thematischen und strukturellen Vorgaben ließ. Im Donaueschinger Humus – The Life Exploring Force vereinte sein mit der Elite des europäischen Free Jazz besetztes Orchestra indisch anmutende Gesangsbögen, wilde Saxofonklänge und meditative Passagen im frei fließenden Strom.
Pendereckis Actions for Free Jazz Orchestra verriet die umgekehrte Denkweise eines Konzeptionisten, der bei Free-Jazz-Musiker:innen abgehörte Wendungen zwischen damals unorthodoxen, geräuschartigen, rauen, quietschenden und eruptiven Ausbrüchen und klar definierten, ruhigeren Passagen abrief. Zwischendurch zauberten drei Trompeter eine Idylle herbei, in die sich Saxofone und Posaunen mengten. Besonders auffällig: Der Gitarrist Terje Rypdal feuerte mit dem Plektrum wilde Stakkati ab und Peter Brötzmann röhrte auf Bariton- und Tenorsaxofonen. Trotz der klanglichen Verwandtschaft schuf Penderecki keinen Free Jazz, denn seine Partitur definierte den Kern des Geschehens.
Während Ornette Colemans Platte Free Jazz Generationen von Jazzmusiker:innen Anregungen gab, führte Krzysztof Pendereckis Actions for Free Jazz Orchestra weder im Jazz- noch im Klassikbereich zu einer Revolution. Wohl aber sind die Actions ein bleibendes Dokument einer dem damaligen Zeitgeist entsprechenden Grenzüberschreitung, das – nach einer vergriffenen Wiederveröffentlichung 2001 auf CD – nun als LP neu aufgelegt wurde.
Werner Stiefele

 

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