Werke von Peter Tschaikowsky und André Parfenov
Aachener Walzer
Ioana Cristina Goicea (Violine), André Parfenov (Klavier), Sinfonieorchester Aachen, Ltg. Christopher Ward
Hinter dem harmlosen Titel dieser CD verbirgt sich weit mehr, als es den Anschein hat. Der Anlass zu den Aachener Walzern war der Auftrag des Dirigenten Christopher Ward an den 1972 geborenen Komponisten André Parfenov, die 16 Takte auszukomponieren, die Tschaikowsky während seines 6-wöchigen Aachen-Aufenthalts im Juli 1887 in sein Tagebuch notierte. Aber dies ist nur das erste Stück dieser CD, die weitere Werke Parfenovs versammelt, u. a. sein Violinkonzert und die Orchestersuite Kasimir Malewitsch. Was sich in seinen Werken ereignet, besitzt eine Vielfalt, die die CD weit über den musikgeschichtlichen Kontext hinaushebt.
Der Komponist erweist sich in allen Stücken als ein Meister der kleinen Form. Die Kompositionen beginnen in der Regel leicht, wie auch der einleitende Tschaikowsky-Walzer. Im Verlauf aber entwickeln die Stücke eine enorme Dichte an Klangfarbenwechseln und wuchtiger Dramatik, an hoch spannenden harmonischen Verläufen und rhythmischen Pointen, die zwar vielleicht nicht neu, aber nie abgegriffen erscheinen und kompositorisch meisterhaft in Szene gesetzt sind. Und Parfenov verleugnet keineswegs die Musikgeschichte – ganz im Gegenteil, als würden sich die besten Seiten seiner imaginären Lehrmeister ein Stelldichein geben: die Brillanz Schostakowitschs, die lyrisch brachiale Einfachheit Bartóks und Grooves, wie sie Piazzolla nicht besser hätte schreiben können. Wenn im Tango WS der Taktwechsel im B-Teil lyrisch charmant kaschiert und zugleich pointiert wird oder die „Kirchenglocken“ in der Malewitsch-Suite zu einer Dramatik sich steigern, dass die Apokalypse kurz bevorzustehen scheint, dann sind hier immer Verläufe komponiert, die hörend gut nachvollziehbar sind, dabei stets überraschend und in vollendetem Formgefühl gehalten.
Eine Abfolge von Kompositionen auch, die eine schier unglaubliche Vielseitigkeit besitzt, ohne im Geringsten in Beliebigkeit abzugleiten. Vielmehr ist es so, dass den Hörenden durchaus Anstrengendes zugemutet wird – Parfenov ist keine leichte Kost –, dieses aber stets mit verspielter Leichtigkeit gepaart ist. Dementsprechend hat man es auf der CD mit äußerst engagierten Musiker:innen zu tun, die an Klarheit und musikalischer Sinngebung kaum zu übertreffen sind. Erst dadurch verwandeln sich die motorischen Rhythmen zu abgefederten Grooves, die Klangverästelungen in bis ins Letzte durchgestaltete Linien.
Parfenov bedient sich vieler musikalischer Sprachen. Ihre sinnvolle kompositorische Verbindung ist seine große Stärke. Ein Hörvergnügen der besonderen Art. Der Abschluss der CD durch Tschaikowskys Mozartiana ist insofern, neben dem musikgeschichtlichen Kontext, gut gewählt. Das Spannende aus heutiger Sicht ist weniger, die kleinen Perlen Mozarts einem breiteren Publikum zugänglich zu machen, sondern ihren Pasticcio-Charakter mitzuverfolgen, der auch der Ästhetik Parfenovs nicht fremd ist. Eine insgesamt fantastische Leistung aller Beteiligten, die nur eine Gesamtbewertung verdient, nämlich die höchste.
Steffen A. Schmidt