Oliver Leicht (Acht.)

A_Trak_Some Songs

Oliver Leicht (Klarinette, Altklarinette, Elektronik), Norbert Scholly (Gitarre), Hendrik Soll (Klavier), Matthias Eichhorn (Bass, Violoncello), Jens Düppe (Schlagzeug), Linus Bernoulli (Horn), Christian Jaksjø (Eufonium), Günter Bollmann (Posaune), Jan Schreiner (Bassposaune, Tuba)

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Float Music
erschienen in: das Orchester 04/2022 , Seite 79

Erst mal schön das Booklet lesen und dabei die CD hören – das ist mit diesem Silberling nicht möglich. Denn – es gibt kein Booklet. Auf Oliver Leichts Website liest man immerhin: „Die Reise geht weiter, noch tiefer hinein in facettenreiche Klanglandschaften zwischen komplexen Arrangements und Improvisationen.“ Unterwegs auf besagter Reise ist Oliver Leicht mit seinen acht Mitspielern – daher die Acht im Titel – schon seit Längerem, drei CDs sind mittlerweile erschienen. Alleinstellungsmerkmal des Ensembles ist der Sound der tiefen Blechbläser.
CD ohne Booklet ist wie Konzert ohne Programmheft – beides nicht schlimm. Denn die Klangwelten des Oliver Leicht verlangen nichts als offene Ohren und die Bereitschaft, sich gefangen nehmen zu lassen – von vieladrigen Arrangements, von raffinierten elektronischen Klangtüfteleien, von ausufernden Improvisationen.
Leicht, im Hauptberuf Saxofonist in der Bigband des Hessischen Rundfunks, bildet Schnittmengen aus Bigbandsound, elektronischen Soundscapes und Ensemblejazz von Bebop bis Swing. Man höre nur einmal den Beginn des titelgebenden A_Trak. Aus Blechbläsertönen – als Loops und real – entsteht eine schillernde Akkordstruktur, unterlegt mit einer funkigen Rhythmusgrundierung: ein Aufeinandertreffen verschiedener Charaktere, das allerlei spannungsvolle Entwicklungen auslöst bis hin zu einem rauen Solo der E-Gitarre im Distortion-Sound. Das ist alles fabelhaft gut ausbalanciert zwischen dichten und lockeren Strukturen. Schräges oder gar Verstörendes gibt es nicht. Man fühlt sich geborgen wie in einem niveauvoll möblierten Appartement, in dem der dekantierte Bordeaux bereitsteht.
Leicht, der sämtliche Stücke komponiert und arrangiert hat, geht mit seinen Ideen ziemlich ökonomisch um. Wunderschön zu hören in Dessau Counterpoint. Zwei Klarinettentöne (oder doch Klarinette und Glockenspiel?), hallig verfremdet, leuchten kurz auf und verschwinden wieder. Nach einer gefühlten Ewigkeit antwortet aus dem Nichts ein winziges Glissando auf dem Cello, ploppt auf wie ein Leuchtfeuer im Dunkel. Aus diesem minimalistischen Klangmobile entwickelt sich zunächst ein kammerspielartiges, lose gefügtes Miteinander aus Bassklarinette, Schlagzeug und Bass. Später schleichen dann die Blechbläser auf die imaginäre Bühne.
Ab Minute 4:17 passiert dann das, was diesem Track vermutlich den Titel gegeben hat: nacheinander stellt das tiefe Blech freitonale Tonfolgen vor, die für kontrapunktische Verfahren im Geist von Bauhaus-Klarheit bestens geeignet sind. Schulfugen bekommt man allerdings nicht zu hören, sondern die Linien umgarnen sich eher spielerisch. Trotzdem gelingt der Brückenschlag in die klassische Moderne und darüber hinaus, wenn man sich für einen Moment sogar in einer Gabrielischen Canzona wähnt.
Mathias Nofze