Mendelssohn Bartholdy, Felix

A Midsummer Night’s Dream / Symphony No. 4

Münchener Kammerorchester, Ltg. Alexander Liebreich

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Sony Classical 88875052292
erschienen in: das Orchester 11/2015 , Seite 79

Auf den ersten Blick ist alles gut: In seiner neuen Mendelssohn-Aufnahme präsentiert sich das Münchener Kammerorchester unter Alexander Liebreich hochkarätig. Darauf enthalten sind Ein Sommernachtstraum (Ouvertüre und die zehn Nummern der Bühnenmusik) sowie die „italienische“ vierte Sinfonie. Die Partituren werden schlank durchleuchtet und dynamisch klug gestaffelt. Sehr ansprechend bereits die Gestaltung der Sommernachtstraum-Ouvertüre, respektive die Auffächerung des Stimmgeflechts (z. B. in der Durchführung). Auch die Atmosphäre zwischen elfenhaft flatternden Streichern, burschikosem Rüpeltanz und retardierenden Momenten ist wohlausbalanciert. Ein ähnliches Bild bieten die übrigen Nummern. Die Sopranistinnen Lydia Teuscher und Christiane Iven sowie Mitglieder des Chors des Bayerischen Rundfunks verleihen den Vokalsätzen schöne Farben. Danach wird die Italienische technisch sauber und ausgefeilt geboten. Keine Frage, das 1950 gegründete, 1995 von Christoph Poppen übernommene und runderneuerte Münchener Kammerorchester hat sich auch unter dem seit 2006 amtierenden Alexander Liebreich vorzüglich entwickelt und gehört heute zur Elite.
Auf den zweiten Blick bieten sich jedoch manche Einwände gegen die bei Sony veröffentlichte Aufnahme. Zunächst gibt es keine Not an guten Interpretationen von Mendelssohns Sommernachtstraum-Musik sowie der Italienischen. Der Katalog ist übervoll mit hervorragenden Aufnahmen, man denke nur an Philippe Herreweghes Sicht mit dem ausgezeichnet luftig spielenden Orchestre des Champs-Élysées (HMF) oder im eigenen Sony-Programm an die vorbildlich remasterte 1987er-Aufnahme der Bamberger Symphoniker unter Claus Peter Flor mit Lucia Popp und Marjana Lipovšek. Die prominente Konkurrenz bei beiden Werken ist im Übrigen so stark, dass sich diese Neuaufnahme langfristig nur im guten Mittelfeld positionieren dürfte. Daher muss einmal die grundsätzliche Politik solcher CD-Veröffentlichungen hinterfragt werden.
Präsentierte sich das Münchener Kammerorchester in seinen Aufnahmen für ECM etwa als mutiges, risikofreudiges Kammerorchester mit ungewöhnlichen Programmen, wird bei diesem Sony-Silberling eine gesichtslose Werkzusammenstellung für den Mainstream produziert. Wo bleibt die Corporate Identity? Ein Orchester, das sich live erfolgreich als Vermittler von Neu und Alt bewährt hat, sollte dieses künstlerische Profil auch auf einer CD zeigen. Die zehn bekannten Musiknummern aus der Sommernachtstraum-Bühnenmusik hätten etwa mit den Melodramen und vielleicht neuen Zwischentexten einen ungewohnten Blick auf das bekannte Werk eröffnen können – so hat es vor ein paar Jahren das Tonkünstler-Orchester aus Österreich gemacht. Auch die Kombination mit einem neuen Werk wäre allemal spannender gewesen als Ein Sommernachtstraum an der Seite der zigsten Einspielung der Italienischen. Als Fazit bleibt: eine gut musizierte Aufnahme, aber ein etwas einfallsloses Konzept.
Matthias Corvin