A Flight through the Orchestra

A Film by henning Kasten. Johannes Brahms: Symphony No. 2 op. 73, Deutsches Symphonie-Orchester Berlin, Ltg. Tugan Sokhiev

Rubrik: DVDs
Verlag/Label: EuroArts 2061178
erschienen in: das Orchester 06/2016 , Seite 76

Seit 2012 ist der russische, in Nordossetien geborene Dirigent Tugan Sokhiev Chefdirigent des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin. Nach CD-Produktionen des Orchesters mit Werken von Prokofjew hat er sich auf einer DVD der 2. Sinfonie von Johannes Brahms angenommen.
Die Produktion ist kein direkter Konzertmitschnitt, aber dennoch eine Liveaufnahme. Der TV-Direktor Henning Kasten hatte die Idee, die Sinfonie nur mit einer einzigen Kamera aufzuzeichnen, die mit Hilfe eines teleskopierbaren Kamerakrans einen Flug durch das Orchester ermöglicht. Akustisch wird das Vorgehen dadurch unterstützt, dass die Instrumente, die die Kamera in den Blick nimmt, durch gesonderte Mikrofone deutlicher hörbar werden, sodass sich Bild und Klang entsprechen.
Vorteilhaft ist bei diesem Konzept die ruhige Kameraführung, die ohne Bildschnitt auskommt, was der Konzentration auf das musikalische Geschehen zugutekommt und den Bewegungsfluss der Musik nicht unterbricht. Problematisch bleibt die „Flugrichtung“ der Kamera. Welche Route soll die Kamera nehmen? Soll sie der Analyse des Werks dienen? Soll Ungewöhnliches, was sonst im Gesamtklang untergeht, hervorgehoben werden?
Die Regie geht einen Mittelweg. Sie geht häufig auf die Holzbläser mit motivisch-thematischen Partien zu, lässt sie aber auch bei Spielpausen bis zu ihrem nächsten Einsatz im Bild. An anderer Stelle wird aber die motivisch-thematische Arbeit im Kopfsatz nicht berücksichtigt. So vermisst man in dessen Durchführung einen Schwenk zu den Blechbläsern, wenn sie das dreitönige Motto des Anfangs in der Engführung intonieren. Musikalisch unlogisch ist die Kameraführung zu Beginn des dritten Satzes, wenn zunächst die begleitende Klarinette und erst dann die Oboe mit der Themenmelodie gezeigt werden. Bei Tutti-Passagen wird zumeist auf eine differenzierte, analytische Bildführung verzichtet. Mit Hilfe des Dolby-Surround-Verfahrens wirkt bei den Bläsersolisten die akustische Hervorhebung sehr plastisch; etwas weniger deutlich ist die Übereinstimmung von Bild und Ton, wenn einzelne Pulte der Streicher fokussiert werden.
Die sehr stimmige Interpretation Tugan Sokhievs mit den Musikern des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin wird von einem warmen Gesamtklang getragen. Sein weich zeichnendes Dirigat fördert ein natürlich wirkendes Fließen der Musik. Die angemessenen, nie überzogenen Tempi lassen ein entspanntes Ausmusizieren zu. Das Orchester folgt den mitunter sparsamen Impulsen seines Chefs mit äußerster Konzentration und ausdrucksvoller Intensität, die sich besonders im Schlusssatz entlädt. Die Durchsichtigkeit des Klangbildes und die Perfektion im Zusammenspiel sind bei dieser Liveaufnahme besonders hervorzuheben.
Diese fand im Berliner Industriedenkmal Kraftwerk Rummelsburg statt, einem Ort, der atmosphärisch keinerlei Bezug zum inneren Sujet der naturverbundenen 2. Sinfonie von Brahms hat. Durch den Verzicht, den Raum bewusst in Szene zu setzen, wirkt er aber auch nicht störend.
Die DVD A Flight through the Orchestra, die auch in einer Blu-Ray-Version erhältlich ist, ist eine Gemeinschaftsproduktion von Rundfunk Berlin-Brandenburg, Arte und EuroArts.
Heribert Haase