Heinz Holliger

à deux

Vier Stücke für Oboe und Englischhorn

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott Music
erschienen in: das Orchester 02/2023 , Seite 66

Welcher Musiker kennt nicht Heinz Holliger? Der einst zu den weltweit besten Oboisten gehörende, hoch dekorierte Künstler, der außerdem immer noch erfolgreich dirigiert, lehrt und komponiert. Zeitweise schrieb er beispielsweise auch für die Oboe – solo oder mit anderen Instrumenten. Als Oboist denke man nur an die Studie II für Oboe solo aus dem Jahre 1981. Nun legte er jüngst ein Duo mit dem Titel à deux für Oboe und Englischhorn vor, dessen Schriftbild dem der Studie ziemlich ähnelt. Die vier Stücke wurden noch vor Drucklegung am 22. Januar 2021 im Hans-Huber-Saal des Stadtcasinos Basel uraufgeführt. Die Solisten waren Holliger selbst und Marie-Lise Schüppach am Englischhorn.
Im dreisprachigen Vorwort beschreibt Holliger die einzelnen Stücke. Das erste, Spiegel – LIED, ist eine notengetreue Wiederaufnahme des Lieds aus den Fünf kleinen Stücken – damals im 65/4-Takt! –, die der Komponist 2019 zu seinem 80. Geburtstag veröffentlicht hatte. Dieses Mal gesellt sich, so Holliger, „eine rhythmisch freie, aber im Tonhöhenverlauf genau spiegelbildliche Stimme“ dazu. Ähnlich auch das zweite Stück: Dem gleichen LIED „wird ein sehr kontrastierendes, freies recitativo drammatico gegenübergestellt“ – eine kleine Herausforderung für den Englischhornspieler. Der Ausdruck „Fangis“, des dritten Stücks, bedeutet im süddeutsch-schweizerischen Raum nichts anderes als „Fangen spielen“ – vielleicht will sich Holliger an seine Kindheit erinnern. Dieses Fang-mich-Spiel ist nun zwischen Oboe und Englischhorn einem „rasend schnelle[n] Jagen durch ein Labyrinth von asymmetrischen Rhythmen“ nachempfunden. Im letzten Stück wird Holligers Intention des Titels klar: Er schrieb „à deux – Adieu“ im Gedenken an seine Schwester Dora und seine Schwägerin Rosemarie, die innerhalb eines Zeitraums von nur acht Tagen am 5. und am 13. April 2020 verstarben. Hier nun scheint Holliger seine ganze Trauer musikalisch zu verarbeiten. Beide Instrumente haben ein Adagio, recitanto, womit sie sich mit verschiedenen seufzenden und „greinenden“ Tonbebungen viel Zeit lassen können. Dazu eine bemerkens­werte historische Parallele: Waren es doch bei den alten Griechen insbesondere die Aulosspieler, die mit den Klageweibern ihre Trauerarbeit bewältigten.
Leider sind in diesem Satz wie auch in den anderen Sätzen keine Spielanweisungen angegeben oder eine Art Legende im Vorwort notiert, wie so manch ungewöhnlich aussehende Noten oder beispielsweise die Balkungen mit den Schlangenlinien gespielt werden sollen. So könnten neugierige Oboisten zumindest erst einmal abgeschreckt werden. Vom ästhetischen Aspekt her spiegelt es die manchmal verstörende Phase experimenteller Musik aus der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts wider, die zunächst nicht unbedingt als schön empfunden werden wollte. Werner Bodendorff