Greenwald, Andrew
99 Words
für Schlagzeugtrio, Spielpartitur
Drei kleine Trommeln, zwei Donnerbleche, einige kleinere Instrumente wie Holzblöcke und Crotales, wenige Schlägel und zwei E-Bows zur elektromagnetischen Anregung von Schwingungen das ist das Instrumentarium für Andrew Greenwalds Schlagzeugtrio 99 Words. Extrem wenig Material für ein ca. 13 Minuten langes Stück, dessen Besonderheit eindeutig nicht in klanglicher Opulenz, sondern in der Proportionierung recht abstrakter Klänge liegt.
Andrew Greenwald ist ein junger amerikanischer Komponist, der derzeit noch in Kalifornien als PhD-Student bei Bryan Ferneyhough an der Stanford University studiert. Bereits 2002 gründete er das Composer-Performer-Kollektiv Ensemble Pamplemousse, mit dem er sich einer in vielerlei Hinsicht grenzüberschreitenden Musik widmet.
Für seine bisher entstandenen Solo- und Kammermusikwerke, die oft als Aufträge amerikanischer Stiftungen entstanden, hat Greenwald eine Notation entwickelt, die nicht das klingende Resultat beschreibt, sondern die ähnlich einer Tabulatur als sehr detaillierte Handlungsanweisung funktioniert. Diese Schreibweise übertrug er 2014 auf sein Schlagzeugtrio 99 Words, indem die einzelnen Parameter des Trommelspiels in jeweils einem Notationssystem individuell erfasst werden. So wird z.B. festgelegt, wo auf der kleinen Trommel welcher Finger in welchem Rhythmus und welcher Geschwindigkeit tätig wird. Greenwalds Notation ist von hoher Präzision und für manche spezielle Spieltechnik hat der Komponist sogar kurze Demonstrationsvideos auf YouTube eingestellt.
Um einen konkreten musikalischen Eindruck des Stücks zu erhalten, empfiehlt sich gleichfalls ein Besuch auf YouTube, der die strukturelle Vermutung bestätigt: Im Stück wechseln kürzere, geräuschhaft komplexe musikalische Strukturen mit durch das Trio gereichten Holzsignalen ab, die wiederum mit längeren monochromen Flächen aus geriebenen Klängen kontrastieren. Zahlreiche gliedernde Pausen wirken wie Interpunktionen zwischen Worten und Satzteilen daher womöglich der Werktitel. Gegen Ende des Stücks fließen die Einzelklänge zunehmend ineinander und das musikalische Geschehen intensiviert sich stetig bis zu einem heftigen Abriss.
Irgendwo zwischen Klassik, Elektronik, Noise Music und Improvisation angesiedelt, stellt dieses Stück wegen seiner besonderen Notation und der speziellen Spielweisen besondere Ansprüche an die Interpreten. Der beim Spielen geforderte hohe Abstraktionsgrad prädestiniert es für den exemplarischen Einsatz an Musikhochschulen. Über die zugrunde liegende Ästhetik wird mit den Studierenden dann sicher geredet und auch trefflich gestritten werden. Denn schon die Kommentare unter dem YouTube-Video changieren zwischen self-indulgent pretentious hipster fancy bullshit garbage und fascinating and great fun to watch.
Stephan Froleyks