Geißler, Fritz

5. Sinfonie/11. Sinfonie/Klarinettenkonzert/Concertino für Violoncello

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Hastedt HT 5334
erschienen in: das Orchester 01/2010 , Seite 77

Es ist eine höchst erstaunliche und beachtenswerte Platte, die der Bremer Hastedt-Verlag vorlegt. Nicht nur, weil sie als Nummer 34 der Serie „zeitgenossen | Musik der Zeit“ erneut das unverdrossene Bemühen des Editors Wolfgang Smitmans kundtut, manch wichtigem Werk der DDR-Musik Aufmerksamkeit und Gehör zu verschaffen und so zu bewahren, was aus seiner Sicht Substanz, Originalität und Charakter besitzt. Sondern auch, weil diese zweite Geißler-CD zum Coup wurde: Mit dem Konzert-Mitschnitt vom 18. November 1972 (Rundfunk-Sinfonieorchester Leipzig, Ltg. Herbert Kegel) hat er die wohl beste Interpretation der Fünften aufgespürt, und die Aufführung die Elften zu den DDR-Musiktagen 1988 (Sneshinka Avramova, Alt, Philharmonisches Orchester Rostock, Ltg. Gerd Puls) präsentiert er gar als Ersteinspielung.
Beide Werke zeigen Fritz Geißler (1921-1984) als vielfältigen, unkonventionellen Komponisten, dessen Schaffen und dessen provokante Ästhetik mehrfach für Denkanstöße, Auseinandersetzungen und Innovationsschübe im Musikschaffen der DDR gesorgt haben. Er galt als Modernist und als Neoromantiker; Etikettierungen aber entsprach er nicht, und angepasst war er nie. Nach den aufstörenden Sinfonien 2 und 3 zeigt die 5. Sinfonie (1969) nahezu klassisches Format. Zwar sind Dodekafonie und Serialismus, variable Metren und Aleatorik nach wie vor dominierende Gestaltungsmittel, und Konflikthaftigkeit und Dramatik die bestimmenden Ausdrucksbereiche. Doch der Hang zu Klarheit und Fasslichkeit von Form und Aussage ist unüberhörbar. Der 1. Satz, ein groß angelegtes fünfteiliges Adagio, entwickelt das schmerzvolle Leitthema der Celli über Bedrohungen, Ausbrüche und Steigerungen hinweg zu seiner endgültigen Gestalt – einem Gesang voll Schönheit und innerer Größe. Und der 2. Satz, ebenfalls fünfteilig und mit dem ersten motivisch verzahnt, wird zum ungestümen Marsch, dem skurrile Scherzo-Elemente und groteske Überzeichnungen seinen Elan und seine Zuversicht nicht nehmen. Eine klassische Dramaturgie: Dresden gewidmet, will die Sinfonie den Wiederaufbau der Stadt als Sinnbild für menschliche Schöpferkraft begreifen.
Ganz anders die dreisätzige 11. Sinfonie für Altsolo und großes Orchester (1982), der Gedichte von Conrad Ferdinand Meyer (Möwenflug), Johannes R. Becher (Meer im Sommer) und Georg Heym (Die Seefahrer) Gewicht und Richtung geben. Farbige Naturbilder spiegeln persönliches Empfinden: keine triumphierenden Gesten mehr, sondern sensible Töne und kontemplative Stimmungen, denen freilich die Illusion eines menschlich schönen Lebens nie abhanden kommt. So singt denn auch der Mittelsatz vom Meer als „Widerschein endlosen Glücks“ und vom Meer als „wogendes Weinen“.
Das Concertino für Violoncello und kleines Orchester (1981, Solist: Hans-Joachim Scheitzbach) und das Konzert für Klarinette und Orchester (1983, Solist: Michael Simm) offenbaren eine Seite, die dem Adagio- und Bekenntnis-Musiker Geißler von Anfang an nicht fremd war – musikantische Heiterkeit und brillante Virtuosität – und die er nun noch einmal zur Freude des Publikums aktivieren wollte. Auch das eine Überraschung…
Eberhard Kneipel