Skrjabin, Alexander
5 Préludes op. 74
für Streichquartett, bearb. von Xaver Paul Thoma, Partitur
Xaver Paul Thomas Produktivität versetzt immer wieder in Erstaunen. Das Werkverzeichnis des 62-jährigen Badeners weist bis heute an die 180 Kompositionen aller Gattungen aus, abendfüllende Opern und Ballette, Werke für großes Orchester, Kammermusik, Instrumentalkonzerte, Liederzyklen, Chorwerke und manches mehr. Viele seiner Kompositionen sind Auftragswerke, die er für renommierte Orchester und Institutionen schrieb, etwa für das Gürzenich-Orchester Köln, die Orchester der Staatstheater in Stuttgart, Karlsruhe und Hannover und für das SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg. Daneben ist er seit vielen Jahren auch noch als Bratscher im Staatsorchester Stuttgart tätig die Arbeitsbelastung einer Orchesterstelle würde den meisten bereits völlig ausreichen.
Immer wieder hat Thoma sich auch des Genres der Transkription gewidmet und dabei auf Originalkompositionen etwa von Wolf, Ravel, Wagner (Albumblatt gesetzt für 4 Bratschen!), Barber und Schumann zurückgegriffen. Vor einiger Zeit stellte ich seine gelungene Bearbeitung der Romanze op. 11 von Antonín Dvorák für Violine und Streichorchester vor (siehe das Orchester 11/2010, S. 70).
Im vorliegenden Fall ist er noch einen Schritt weitergegangen und hat für das Minguet Quartett die 5 Préludes op. 74 von Alexander Skrjabin für Streichquartett bearbeitet. Die atonalen Miniaturen aus der Spätzeit des Komponisten geschrieben 1914, ein Jahr vor seinem Tod gehören zu den fortgeschrittensten, modernsten Schöpfungen ihrer Zeit. Sie sind in ihrer Mischung aus beklemmend düster-sinnlichem Klangmystizismus und fiebrig-überhitzter Ektase typisch für Skrjabins Tonsprache. Thoma hat versucht, die Skrjabinsche Klangwelt ohne besondere Zuhilfenahme spezieller Spieltechniken ab und an einmal gibt es ein Bartók-Pizzicato oder eine Ponticello-Passage auf die vier Streicher zu übertragen. Natürlich bietet das Streichquartett eine andere Klangpalette als das Klavieroriginal, und die intensiv verführerische, quasi expressionistische Sinnlichkeit dieser Musik ist farblich gut eingefangen.
Trotzdem erscheint mir diese Transkription alles in allem problematischer als seinerzeit Thomas Version der Romanze von Dvorák. Es hängt einfach mit der Natur von Skrjabins Klangidiom zusammen. Diese Stücke sind klanglich derart eng mit dem Klavierklang verwoben, dass sie auf anderen Instrumenten kaum adäquat darstellbar erscheinen. Die glöckchenhafte, kühlere, dabei schwebende bis gelegentlich perkussive Natur des Klaviertons an sich, die Möglichkeiten der Pedalisierung, der Klangumfang eines modernen Flügels, all das scheint hier wesentlicher Bestandteil der kompositorischen Substanz, ja Quell von Skrjabins Inspiration. Wohl keine Bearbeitung wird das gleichermaßen stimmig darstellen können. Trotzdem bleibt Thomas Transkription eine einfallsreich und mit viel Klangsinn für die streicherischen Möglichkeiten konzipierte Fassung, auch wenn sie nicht an das Original heranreichen kann.
Herwig Zack


