Giya Kancheli / Ruben Altunyan

33 Miniatures – Simple Music for Piano/Sonata for cello Sulchan Tsintsadze/Five Pieces on Folk Themes for Cello and Piano

George Vatchnadze (Klavier), Suren Bagratuni (Violoncello)

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Piano Classics
erschienen in: das Orchester 05/2020 , Seite 79

Der Tod Gija Kantschelis am 2. Oktober des vergangenen Jahres war für die meisten deutschen Feuilletons kein Thema. Es waren die „üblichen Verdächtigen“, die seiner gedachten: die Zeit, die Süddeutsche, die FAZ usw. Dabei handelt es sich bei dem Georgier um einen der bedeutendsten Komponisten der Gegenwart. Sein umfangreiches symphonisches Œuvre (sieben große Sinfonien und viele andere Orchesterwerke) wurde im Nachruf des Bayerischen Rundfunks als „Stille, die selbst Musik wird“ charakterisiert.
Immerhin machte sich das Label Piano Classics auf, eine Gedenk-CD herauszubringen – mit einem Kantscheli, den man so nicht kennt: 33 Miniaturen für Klavier, manche darunter von weniger als einer Minute Dauer, mit recht interessanten Titeln: King Lear, Don Quijote, Mutter Courage und ihre Kinder, Waiting for Godot und ähnliche, aber auch einfach nur Minimo, Bear’s Kiss oder Extraordinary Exhibition. Entstanden sind diese Kompositionen zwischen 1965 und 2002, und man merkt ihnen deutlich die Entwicklung des Komponisten an, ganz nach seinem eigenen Motto: „Meine Tonsprache ändert sich nicht, weil ich woanders lebe, sondern weil Zeit vergangen ist.“
Die einzelnen Stücke perlen ins Ohr – es sind Perlen! Viel Ruhiges, Kontemplatives ist dabei, einiges auch temperamentvoll, wild, fröhlich gar! George Vatchnadze ist sich des Werts dieser Perlen wohl bewusst; er hat Kantscheli nicht nur persönlich gut gekannt, sondern dessen Werke mit dem Segen des Komponisten auch schon vielfach aufgeführt. So dürfen wir bei dieser Einspielung ein Höchstmaß an Authentizität erwarten!
Da aber mit diesen 33 Miniaturen nur etwa eineinhalb CDs zu füllen sind, hat sich Piano Classics darüber Gedanken gemacht, womit diese Stücke am besten zu kombinieren seien – und hat dabei eine äußerst glückliche Hand bewiesen. Der armenische Komponist Ruben Altunyan (*1939) dürfte hierzulande nur wenigen Spezialisten bekannt sein, zählt aber zu den herausragenden Musikern Armeniens. Von Hause aus selbst Bratschist, legt er hier eine mitreißende, hochvirtuose Sonate für Cello solo vor, die auf der georgischen Volksmelodie Tsin Tskharo (Aprikose) basiert. Der begnadete Cellist Suren Bagratuni kennt sich mit kaukasischer Volksmusik aus – aber wohl auch mit Bach, denn er musiziert das Werk sozusagen „bachisch“, was durchaus als Kompliment gewertet werden darf.
Schließlich enthält die zweite CD auch noch Werke von Sulchan Tsintsadze (auch: Zinzadse, 1925-1991): fünf Stücke über Volksthemen für Cello und Piano, wobei es vor allem erstaunt, dass hier nicht Tsin-
tsadzes Bearbeitung von Stalins wunderschönem Lieblingslied Suliko (Seele) vertreten ist, das bei Tsintsadze-Einspielungen offenbar zum Pflichtprogramm gehört! Auch hier musizieren Vatchnadze und Bagratuni mit wunderbarer Einfühlung in das semifolkoristische Genre.
Friedemann Kluge