Antje Rößler

Berlin: Mord am Fjord

Umjubelte Uraufführung von Peter Eötvös’ „Sleepless“ an der Staatsoper Unter den Linden in Berlin

Rubrik: Bericht
erschienen in: das Orchester 02/2022 , Seite 44

Ein riesiger gestrandeter Lachs liegt auf der Bühne, halb angenagt. An seiner schuppigen Haut und unter dem Dach seiner Gräten leben die Bewohner eines norwegischen Fischerdorfes.
Ende November wurde an der Berliner Staatsoper Peter Eötvös’ Sleepless uraufgeführt. Der Budapester Komponist nennt seine Schöpfung eine „Opernballade“; er nutzte den Lockdown, um das Auftragswerk der Staatsoper Unter den Linden und des Grand Théâtre de Genève binnen neun Monaten niederzuschreiben. Der Stoff basiert auf dem Roman Trilogie des norwegischen Autors Jon Fosse; das englische Libretto hat Eötvös’ Ehefrau Mari Mezei geschrieben.
Der Zweiakter wirkt wie eine Mischung aus moderner Weihnachtsgeschichte, „Bonny und Clyde“ und der Filmsprache des Finnen Aki Kaurismäki. Es geht um ein minderjähriges Pärchen, das durchbrennt und auf der Suche nach Obdach durch den verregneten norwegischen Spätherbst irrt: Asle, mit Glatze und Kapuzenpulli, und die hochschwangere Alida im viel zu dünnen Kleidchen. Überall weist man sie ab. Aus Verzweiflung wird Asle zum Mörder.
Als Alida ist die Norwegerin Victoria Randem, neues Ensemblemitglied am Hause, das Kraftzentrum des Abends. Mit ihrem warmen Sopran gestaltet sie sämtliche Facetten und Abgründe des liebenden, verzweifelten Mädchens. Der niederländische Tenor Linard Vrielink gibt den Asle als hyperaktiven, nervösen Underdog, der seine Aggressionen nicht im Griff hat. Die Besetzung verlangt ein großes Orchester mit reichem Bläsersatz. Am Premierenabend leitete der Komponist persönlich die Berliner Staatskapelle mit ruhigen, bedächtigen Gesten.

 

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