Paganini, Niccolò

24 Caprices for Solo Violin

Rubrik: CDs
Verlag/Label: hyperion CDA67763
erschienen in: das Orchester 01/2010 , Seite 76

Paganinis 24 Capricci per violino solo op. 1 stellen Geiger vor größte technische Herausforderungen. Höchste Lagen, Flageolett, Oktav- und Doppelgriffe fordern die linke Hand, die Bogenhand muss die ganze Bandbreite vom Legato bis zum Spiccato beherrschen. Paganini galt nicht zuletzt wegen seiner Capricci als Teufelsgeiger. Technische Virtuosität und extremer musikalischer Ausdruck, ganz im Sinn der beginnenden Romantik, verbanden sich in seinem Spiel zu einer Dämonie, die das Publikum in ihren Bann zog.
Wer heute die Caprices im Konzert oder auf CD spielt, läuft Gefahr, dass ihm das Etikett eines mit allen Wassern des Geigenspiels gewaschenen Technikers und Virtuosen im Gegensatz zum Interpreten, dem es um das Eindringen in den Geist der Musik geht, angehängt wird. Doch dieses Vorurteil führt die erst 31-jährige Geigerin Tanja Becker-Bender in ihrer Einspielung der 24 Caprices mit Bravour ad absurdum. Sie spielt die Caprices nicht so, wie es dem Klischee des Teufelgeigers entspricht, vermeidet alles Dämonisierende und Rattenfängerische. Vielmehr geht sie an diese Werke mit derselben Haltung heran, mit der man auch Bachs Solosonaten spielen könnte. Sie nimmt die Noten ernst, wägt ihre Bedeutung und ihre Stellung im Zusammenhang ab und gestaltet daraus musikalische Strukturen von erstaunlicher Sinnhaftigkeit, die dann auch zu ausdrucksvollen musikalischen Bildern werden. Dabei gelingt es ihr, den Charakter der Stücke, etwa das Maestoso der 4. Caprice oder das gesangliche Amoroso der 21. Caprice überzeugend darzustellen. Allerdings vermeidet sie es, romantische Klischees wie etwa das „Teufelsgelächter“ der 13. Caprice zu betonen.
Im Beiheft der CD steht, dass die Künstlerin „es sich zur Aufgabe gemacht hat, den so subtil kommunikativen wie dramaturgisch gestaltenden Geist der Kammermusik auf alle Genres der Musik zu übertragen“. Sie spielt auch Paganinis Caprices kammermusikalisch, jede Note anders artikuliert, nie mit auftrumpfender Virtuosengeste, sondern stets auf Zusammenhänge, Klangnuancen und eine sprechende Gestaltung bedacht. Sie hält streng die Tempi ein und zeigt so, dass diese Stücke, so romantisch bizarr sie auch erscheinen mögen, einer musikalischen Logik folgen, die sie zu weit mehr als Virtuosenstücken macht: zu Kompositionen, die auch heute noch Bestand haben und die aus der Solo-Violine erstaunliche und unübertrefflich viele Klangmöglichkeiten entwickeln.
Paganini wird hier nicht nur als Violinvirtuose, sondern auch als Komponist ernst genommen. Zu Recht wurde Tanja Becker-Benders Einspielung von dem englischen Klassik-Magazin Gramophone mit dem „Editor’s Choice“ ausgezeichnet!
Franzpeter Messmer