Eugène Ysaÿe

2ème Trio

op. 34 pour Violin – Alto – Violoncelle, hg. von Nandor Szederkényi

Rubrik: Noten
Verlag/Label: iStrings
erschienen in: das Orchester 01/2021 , Seite 66

Heutzutage ist es gut, dass durch das Internet auch kleinere Verlage die Möglichkeit haben, Noten zu veröffentlichen, sei es als digitale Ausgabe zum Herunterladen oder, wie im vorliegenden Streichtrio, als Printausgabe. Der in Großbritannien beheimatete iStrings-Verlag hat bisher etwa 70 Transkriptionen und Originalwerke für Streicher und Harfe veröffentlicht.
Das zweite Trio für Violine, Viola und Violoncello des belgischen Geigers und Komponisten Eugène Ysaÿe ist datiert auf November 1927. Dieses bisher unbekannte Konzertjuwel wurde in einem mit „Songs“ betitelten Skizzenbuch des Komponisten gefunden. Der Geiger und Herausgeber Nandor Szederkényi hat das Kammermusikwerk ergänzt an Stellen, die unleserlich oder unvollständig waren, und es zudem mit einigen speziellen Fingersätzen und Bogenstrichen versehen, welche auf Ysaÿes originalen violintechnischen Methoden basieren.
Das durchkomponierte, dem Künstler Emile Férir gewidmete Streichtrio umfasst insgesamt 376 Takte und ist dreiteilig angelegt. Der erste mit Allegro assai überschriebene Abschnitt zeigt mit seinen ins Freitonale drängenden melodischen Aufschwüngen, dass diese hochexpressive Musik in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts verortet ist. Sie benutzt zwar die Tonalität als Basis, führt diese aber bis zum Rande und strebt erkennbar darüber hinaus. Eine ungeheure rhythmische Vielfalt und verschiedene Spieltechniken wie Glissandi am Flageolett oder variabel zu spielende Tremoli unterstreichen dies. An zahlreichen Doppelgriffen ist zu erkennen, dass Eugène Ysaÿe nicht nur eine profunde Kenntnis der Streichinstrumente besaß, sondern auch ein außergewöhnlicher Virtuose war, der den Spielern einiges abverlangt.
Ein chromatisch durchsetztes Adagio bildet den Mittelsatz, bevor der bewegte, mit einem kurzen Fugato versehene Schlussteil im Vivo ansetzt. Dieser greift manches musikalische Material vom ersten Abschnitt auf, bietet aber zudem durch harmonisch ruhigere Passagen im dolce espressivo reizvolle Kontraste.
Gemeinsam mit den beiden Trios Le Chimay, bekannt als Ysaÿes erstes Streichtrio, und Le Londres für zwei Violinen und Viola bildet dieses neuentdeckte Streichtrio eine willkommene Trilogie in der konzertanten Streicherkammermusik.
Vom 2ème Trio existiert bisher keine Aufnahme. Für Musiker, die gerne etwas Neues entdecken und vielleicht schon mit den hochexpressiven Klängen, wie sie im Übergang zwischen Spätromantik und Moderne üblich waren, oder auch mit anderen Werken von Ysaÿe vertraut sind, bildet dieses Streichtrio ein ausgezeichnetes Entdeckungsfeld, einerseits um aufgenommen zu werden und andererseits, um in Konzerten, trotz Corona, live zu erklingen.
Die mit dem Notensatzprogramm Finale gestaltete Partitur ist zwar eng gesetzt, aber insgesamt übersichtlich und gut lesbar. Bei den Stimmen fällt sofort auf, dass der Herausgeber ein erfahrene Streicher ist, denn diese sind allesamt umblättertechnisch sehr gut eingerichtet.
Christoph Keller

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