William Walton, Karl Amadeus Hartmann, Béla Bartók

1939

Fabiola Kim, Münchner Symphoniker, Ltg. Kevin John Edusei

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Solo Musica
erschienen in: das Orchester 10/2019 , Seite 66

„Vor dem großen Weltenbrand“: Explizit stellt der Booklet-Text die drei Werke in zeit- und weltgeschichtlichen Zusammenhang. Die Vermutung liegt nahe, dass Komponisten, die 1939 ein Violinkonzert schrieben, in diesem Werk die bedrückende Stimmung vor Ausbruch des 2. Weltkriegs reflektiert haben. Allein aufgrund dieser inhaltlichen Klammer verdient die Doppel-CD Aufmerksamkeit. Hier vermag das „spröde“ Tonträgermedium Gedankenräume zu erschließen, die im Konzertleben kaum herstellbar sind. Es sei denn, ein couragierter Veranstalter setzt die Violinkonzerte von Walton, Hartmann und Bartók aufs Programm eines einzigen Konzerts – und findet dafür vielleicht eine Solistin wie Fabiola Kim. Doch hören wir wirklich komponierte Zeitgeschichte? Oder nicht doch drei individuelle Äußerungen, die vor dem Hintergrund des Annus horribilis Verbindendes wie Trennendes erkennen lassen? Während der Arbeit an seinem 2. Violinkonzert – es war am 31. Dezember 1938 vollendet – fühlte sich Béla Bartók hin- und hergerissen zwischen der Emigrations-Perspektive und der Sehnsucht, seiner ungarischen Heimat verbunden zu bleiben. Das großangelegte, zwischen Konzertform und Variationenzyklus changierende Werk mutet an wie eine Summa seiner gereiften Kompositionstechnik und seiner langjährigen Arbeit mit Volksliedmaterial. Noch unmittelbarer nimmt Karl Amadeus Hartmann Bezug auf die ihn umgebenden Zustände. Er notiert: „Der damaligen Aussichtslosigkeit für das Geistige sollte in den beiden Chorälen am Anfang und Ende ein Ausdruck der Zuversicht entgegengestellt werden.“ Über weite Strecken herrscht ein klagender Ton, unterbrochen durch hämmernde Rhythmen als Ausdruck verzweifelten Aufbegehrens. Schließlich William Walton: Sein im Auftrag von Jascha Heifetz komponiertes Konzert zeigt einen weltläufigen, nicht zuletzt durch Filmmusik bekannt gewordenen Komponisten, wobei der Kopfsatz neben aller Eleganz unüberhörbar melancholische Züge trägt. Nun blieben all diese Erwägungen abstrakt, würden sie nicht durch die Ausführenden – die 1991 in Korea geborene und in den USA ausgebildete Geigerin Fabiola Kim und die Münchner Symphoniker unter Leitung von Kevin John Edusei – überzeugend mit Inhalt gefüllt! Mit modulationsfähigem Ton, Mut zur Expression und phänomenaler Technik wird die Solistin den Ansprüchen der Werke mehr als gerecht. Besonders bemerkenswert erscheint ihre Fähigkeit, jedem Konzert ein eigenes Klangidiom zu Teil werden zu lassen: Den bisweilen holzschnittartig-deutschen Ton des Hartmann-Konzerts trifft sie ebenso wie Waltons amerika-affinen Gestus. Der Nachfolge-Klangkörper des ehemaligen Sinfonieorchesters Graunke hat eine bemerkenswerte Entwicklung durchlaufen. Heute stehen die Münchner Symphoniker für innovative Konzertformen und große stilistische Bandbreite. Seit 2014 wirkt Kevin John Edusei als Chefdirigent. Man scheint sich zu verstehen: Das Orchester klingt homogen, farbig, sorgsam ausbalanciert. Eine tolle Produktion!
Gerhard Anders