Werke von Leoš Janáček, Aaron Copland und Paul Hindemith
1923 – 100 Years of Radio
Schumann Quartett
Die Besetzung des Ruhrgebiets, der Hitler-Ludendorff-Putsch, Hyperinflation und die erste Rundfunksendung – das Jahr 1923 war in Deutschland ein äußerst turbulentes. Und dennoch scheint sich in jenem Sommer und Herbst vor einhundert Jahren künstlerisch Außerordentliches getan zu haben, wie man dem vom Schumann Quartett auf dieser CD zusammengestellten Programm entnehmen kann. Alle hier versammelten Werke wurden entweder 1923 komponiert, in jenem Jahr uraufgeführt oder erfuhren damals ihren Durchbruch wie zum Beispiel Alban Bergs drittes Streichquartett, das vom Havermann-Quartett, einer der führenden Quartettformationen dieser Zeit, zur Eröffnung des Festivals der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik (IGNM) in Salzburg gespielt wurde und vom Schumann Quartett hier überwältigend dargeboten wird.
Spannung pur bietet das Schumann Quartett auch in seinen weiteren Interpretationen. Ein so packend wie blitzsauber gespieltes Kreutzersonaten-Quartett von Leoš Janáček macht den Anfang eines so ambitionierten wie kontrastreichen Quartett-Parcours. Das Meisterwerk des tschechischen Komponisten, der dieses musikalische Psychogramm für vier Streicher als seinen Quartetterstling im Alter von 69 Jahren 1923 komponierte, spielen Erik Schumann, Ken Schumann, Veit Hertenstein und Mark Schumann quasi auf der Stuhlkante sitzend. Jeder Akzent sitzt hier, und alle Schattierungen und Helligkeitsstufen, die das Streichquartett hergibt, werden genutzt, um eine extrem lebendige und kontrastreiche Erzählung zu entwerfen.
Aaron Coplands Movement für Streichquartett ist danach zwar klanglich nicht ganz so spektakulär, lässt aber als ein ernsthaftes und weithin unbekanntes Stück neuer Musik aus dem Jahr 1923 aufhorchen. Das Schumann Quartett geht hier wie auch im folgenden Minimax von Paul Hindemith mit Trennschärfe und äußerster Klarheit ans Werk. Hindemiths Repertorium für Militärmusik mit seinen sechs fabelhaft ausgedachten und ungeheuer musikantischen Sätzen ließe sich sicher noch eine Spur frecher spielen, jedoch genießt man in der Interpretation des Schumann Quartetts die klangliche Qualität der kurzweiligen Komposition aus dem Sommer 1923 um so mehr.
Als Altersgenosse von Alban Berg und Paul Hindemith ist auch Erwin Schulhoff prominent in diesem fabelhaft kontrastreichen Quartettprogramm vertreten. Seine Fünf Stücke für Streichquartett schließen an Hindemiths Farbigkeit an und spielen mit den unterschiedlichsten Formen von Walzer über Tango bis hin zur Tarantella. Dem Schumann Quartett gelingt hier ein bunt schillernder Strauß an musikalischen Miniaturen, die in einer mitreißenden Lebendigkeit auf die Bühne gestellt werden. Nicht unerwähnt bleiben soll bei all der interpretatorischen Qualität dieser vortrefflich aufgenommenen CD das sehr lesenswerte Beiheft, in dem Tobias Bleek die Zuhörer mitnimmt in ein spannendes Musikjahr 1923.
Daniel Knödler


