Werke von Michele Mascitti, Antonio Caldara, Antonio Vivaldi und anderen

1700

Concerto Italiano, Ltg. Rinaldo Alessandrini

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Naïve
erschienen in: das Orchester 12/2018 , Seite 70

Aus mehreren Gründen ist diese CD als außerordentlich gelungen, ja sogar beispielhaft zu bezeichnen. Der etwas trockene Titel des Projekts, 1700, der sich einer früheren CD des Ensembles mit Musik um 1600 verdankt, lässt kaum erkennen, dass das Programm aus 4-stimmiger Streichermusik des 18. Jahrhunderts besteht und von größtem historischen Interesse und höchster musikalischer Qualität ist: Es vermittelt einen Überblick über den Werdegang vom (generalbass-basierten) Concerto zum Streichquartett mit seinen vier autonomen Stimmen.
Zahlreiche italienische Komponisten haben gewichtige Beiträge zu dieser Entwicklung geleistet. Von Anfang an haben das polyfone Stimmengeflecht und die chromatische Verdichtung des Satzes und der Expression eine wichtige Rolle gespielt – „jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“, möchte man mit Hermann Hesse sagen.
Die Auswahl unbekannter, „neuer“, unverbrauchter Musik für diese CD ist ausgezeichnet. Und die Anordnung des Programms in historischer Abfolge, aber auch hinsichtlich Charakter, Tempo und Tonart ist abwechslungsreich und überzeugend.
Ein weiterer Pluspunkt der CD ist der Booklettext von Rinaldo Alessandrini, dem Leiter des Ensembles und „Kopf“ des Projekts: Auf einleuchtende Weise fasst er die Komponisten unter dem Aspekt „Italiener im Ausland“ zusammen und beleuchtet die individuellen Stilmischungen, die aus der Begegnung der italienischen, singenden Schreibart und den vorgefundenen Stilrichtungen an den fremden Aufenthaltsorten der Musiker resultieren. Der Text (französisch und englisch) ist originell und intelligent.
Die sieben italienischen Musiker des „Concerto Italiano“ werden in ihrer sprühenden Italianità dieser Musik vollauf gerecht und spielen hervorragend: intensiv, tonschön, artikuliert, ideenreich, mit sehr gut gewählten, flexiblen Tempi, exakt gesetzten Akzenten und wunderbarer Intonation. Sie vermitteln die „klingende Partitur“ dieser eindrücklichen Musik. Auch die Aufnahmetechnik und der sehr gut balancierte Klang tragen zum Erfolg bei.
Besondere Erwähnung bedarf das Beispiel der Sonata a quattro nach dem Concerto grosso op. 3 Nr. 3 von Francesco Geminiani. Es zeigt, wie man auf der Basis historischer Quellen den Werken ein neues aufführungspraktisches „Kleid anpassen“ kann: Schon Georg Muffat weist 1682 darauf hin, dass man aus seinen Streicherstücken mit wenigen Federstrichen ein Stück „a tre“ oder „a quatro“ oder „a cinque“ oder ein „volles Concerto“ (also „Concerto grosso“) machen kann. Umgekehrt aus einem Concerto grosso eine vierstimmige Sonata zu machen, ist nicht sonderlich kompliziert, aber äußerst lohnend. Und wieder umgekehrt hat ja Geminiani Corellis Sonaten op. 5 zu Concerti grossi umgearbeitet. Diese Bearbeitungspraxis des 18. Jahrhunderts ins Programm der vorliegenden CD aufzunehmen, ist eine sehr schöne, anregende Idee.
Peter Reidemeister