Justus H. Ulbricht (Gesamtredaktion)

150 Jahre Dresdner Philharmonie

Tradition und Innovation in Harmonie. Dresdner Hefte, 38. Jahrgang, Heft 143, 3/2020

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Dresdner Geschichtsverein
erschienen in: das Orchester 03/2021 , Seite 62

Seit 2017 hat die Dresdner Philharmonie nach den umfassen­den Sanierungs- und Erneuerungs­arbeiten im Kulturpalast einen für­wahr tollen, akustisch perfekten und fashionablen Konzertsaal. Aber der Festakt am 29. November 2020 und die anspruchsvolle Festwoche zum Jubiläum des städtischen Or­chesters, das immer selbstbewusster aus dem Schatten der Sächsischen Staatskapelle tritt, mussten wegen der Pandemie entfallen.
Dafür gibt es gleich zwei Doku­mentationen zur bemerkenswerten Geschichte der Dresdner Philhar­monie, die den Auftritt der städti­schen Orchestervereinigung am 29. November 1870 zur Eröffnung des Konzertsaals im damaligen Gewer­behaus in der Ostra-Allee als ihren Gründungstag nennt. Das Orches­ter selbst veröffentlichte einen gro­ßen Band, in dem man zwischen ei­ner „Kunst des Hörens in Bildern“ als Hommage an sein Publikum und einem Splitting des Leitbilds in „Facetten philharmonischer Arbeit“ viel Text und Material zur Ge­schichte des Klangkörpers findet.
Die Nummer 143 der „Dresdner Hefte“ ist im Vergleich leichter an Gewicht, Material und Gliede­rung und inhaltlich etwas kompak­ter, aber keineswegs weniger substanziell. Nur ein Autor erscheint in beiden Publikationen: Albrecht Dümling, der seine Beiträge den Jahren des Nationalsozialismus widmete.
Etwas ganz Wichtiges kommt beim Dresdner Geschichtsverein nach dem Interview mit der Or-chester-Intendantin Frauke Roth erst zum Schluss und kleingedruckt: Das Programmarchiv der Dresdner Philharmonie wurde digitalisiert und kann, koordiniert von der „Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB)“, auf www.sachsen.digital.de jederzeit zu For­schungszwecken oder zur Reakti­vierung schöner Erinnerungen aufgerufen werden.
Eine aufschlussreiche Spann­weite zeigt das Zitat von Marek Janowski aus seiner ersten Chefdirigenten-Ägide von 2000 bis 2004: Dresden und München seien die beiden einzigen Städte mit ei­nem „unverkorksten Gefühl“ zur Musik. An anderer Stelle findet sich der unverhohlen kritische Kommentar eines Autors dazu, dass sich das Weiß-Grün der säch­sischen Nationalflagge schon um 1995 zu stark ausgebreitet habe.
Zu lesen ist von den West-Gastspielen der Dresdner Philhar­monie während entscheidender Zä­suren zu Beginn der Friedlichen Re­volution und des Mauerfalls 1989 und 1990 sowie von den Herausfor­derungen für das System durch die Uraufführung von Friedrich Schen­kers Sinfonie In Memoriam Martin Luther King (1971). Die Trias von Christine Mielitz’ Fidelio-Inszenie­rung in der Semperoper, Klaus Dieter Kirsts Regie von Christoph Heins Ritter der Tafelrunde im Schauspiel und die Aufführung von Beethovens Neunter der Dresdner Philharmonie waren die drei essen­ziellen Beiträge aus den Reihen der klassischen Musik zur Wendezeit in Dresden.
Roland Dippel