Oliver Buslau
111 Opernhighlights, die man kennen muss
Theodor W. Adorno hielt 1965 seinen berühmten Radiovortrag Schöne Stellen, in dem er auf unverwechselbare Art seine Distanzierung, man kann sogar sagen Abneigung denjenigen gegenüber zum Ausdruck brachte, die nicht anders können, als „schöne Stellen“ zu konsumieren und kulinarisch von ihnen zu schwärmen. „Die atomistische Verhaltensweise geht über ins naturalistisch-sinnliche, schmeckende Vergnügen, die Entkunstung der Kunst.“
Fünfundfünfzig Jahre später hat die Kulturindustrie ganze Arbeit geleistet. Nur noch ausgesprochene Asketen unter den Musikhörern verzichten auf diesen besonderen Genuss, den gerade das Musiktheater in Hülle und Fülle zu bieten hat. Ob nun die „Casta Diva“ von Bellini, „Ombra mai fu“ von Händel, „Summertime“ von Gershwin oder das Vorspiel zu Tristan und Isolde von Wagner, all diese „schönen Stellen“ sind in dem vorliegenden Navigator durch die Welt des Musiktheaters versammelt.
Das Buch präsentiert sie und die Geschichten dahinter. Dabei werden die Werke, denen die Beispiele entnommen sind, epochenübergreifend abgehandelt, alphabetisch nach Komponistennamen geordnet. Jedes Beispiel wird auf einer Doppelseite dargestellt: Die eine Seite zeigt eine passende Abbildung und die wichtigsten Daten zum Werk, die andere Seite beinhaltet einen erläuternden Text zur ausgewählten Stelle.
Auch wenn Richard Wagner neunmal und Mozart sechsmal vertreten sind, bringt es die Fülle der Beispiele mit sich, dass nicht ausschließlich eingängige und populäre Werke vorgestellt werden. Die Ouvertüre zu Bernd Alois Zimmermanns Oper Die Soldaten gehört
zu diesen Ausnahmen, die dem Konsumenten „schöner Stellen“ einiges zumutet, ihn aber auch anregen soll, über den eigenen alltagsästhetischen Tellerrand hinauszuhören.
Ansonsten holt der Autor seine Leser dort ab, wo er sie vermutet und wo sie sich wohl auch bisher verborgen haben. So weist er in seinem Vorwort auf Warteschleifenmusik, Werbespots, Filmmusiktracks, Klingeltöne und Popmusik-Adaptionen hin, die vor Anleihen aus der Opernmusik nur so strotzen würden.
Das trifft prinzipiell zwar zu, solche Bemerkungen verleihen dem Band aber auch etwas Reißerisches, was dem oben zitierten Adorno zuwider gewesen wäre. In fünfundfünfzig Jahren hat sich eben viel verändert.
Der digital vernetzte Leser wird hier ebenfalls angesprochen: Ein QR-Code führt zu einer Playlist auf einer weit verbreiteten Musikplattform. Sie enthält die passende Aufnahme, barrierefrei und vorgekostet, nach dem Motto „Nur das Beste ist gut genug“. Gerne hätte man erfahren, nach welchen Gesichtspunkten die Playlist zusammengestellt worden ist.
Der Band ist sicherlich zielgruppengenau feingetuned. Er gehört schließlich in eine Verlagsreihe, in der auch 111 Whiskys besprochen werden, die man getrunken haben müsse. Mehr konnte der Autor unter diesen Umständen nicht herausholen.
Karim Hassan