Malte Hemmerich

100 Jahre Salzburger Festspiele

Eine unglaubliche Geschichte in fünf Akten

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Ecowin
erschienen in: das Orchester 05/2020 , Seite 62

Ein kurzweiliger feuilletonistischer Streifzug durch 100 Jahre Salzburger Festspielgeschichte könn-
te seinen Reiz haben. Es muss nicht eine ausführliche, höchst detaillierte Abhandlung sein. So wie sich allerdings Malte Hemmerich nahezu ausschließlich nur mit politischen Umwälzungen, künstlerischen Leitern und ihren jeweiligen Neuerungen befasst, erscheint sein Rückblick doch etwas flüchtig. Die künstlerischen Ausrichtungen, Stile und Qualitäten historisch bedeutsamer Aufführungen finden zu wenig Raum.
So zeichnet der Autor zwar recht genau nach, wie es dazu kam, dass und mit welchen Schachzügen die Theaterlegende Max Reinhardt und der Dichter Hugo von Hofmannsthal die Festspiele 1920 ins Leben riefen. Aber über Reinhardts Inszenierung des allerersten Jedermann ist nur zu erfahren, dass sie zuvor schon 1911 in einem Berliner Zirkus zu sehen war und „vernichtende Kritiken“ erhielt. Über Reinhardts monumentalen Faust I im Jahr 1933 in der Felsenreitschule reichen die Betrachtungen ebenfalls nicht weit über die imposante Bühnenarchitektur hinaus.
Und auch in den folgenden Kapiteln des Buchs, das der Dramaturgie eines Stücks in fünf Akten folgt, geht der Autor auf maßstäbliche Produktionen wie Gottfried von Einems Uraufführung von Dantons Tod (1947), Strauss’ Rosenkavalier zur Eröffnung des Großen Festspielhauses 1964 oder Karajans viel beachteten Don Carlos 1975/76 in ihren künstlerischen Besonderheiten falls überhaupt nur marginal ein.
Zudem befremdet es, dass über einen so Großen wie Wilhelm Furtwängler nur nachzulesen steht, dass er in Salzburg dirigierte, als der Zweite Weltkrieg tobte, ab 1952 als musikalischer Leiter für die Planungen verantwortlich zeichnete und einige maßstäbliche Aufführungen leitete. Beispiele werden nicht genannt, mithin kommt auch nicht der 1954 von Furtwängler in der Felsenreitschule dirigierte, grandios besetzte Don Giovanni zur Sprache.
Kaum eine größere Würdigung erfährt ein so großer Theatermann wie Oskar Fritz Schuh, der immerhin das legendäre Wiener Mozartensemble nach Kriegsende aufbaute, das wesentlich dann auch in Salzburg gastierte und mit seinen Mozart-Inszenierungen Maßstäbe setzte. Erwähnt werden lediglich seine Verdienste als ein Neuerer, der zusammen mit Einem die Moderne stärker im Programm vertreten haben wollte.
Bei alledem regt sich hinsichtlich der Einschätzungen der jüngeren Vergangenheit, angefangen von der Ära Gerard Mortiers, Widerspruch. Zwischen den Zeilen mag man herauslesen, dass die „herausfordernd-provozierenden Sichtweisen der von Mortier bestellten Regisseure“ Hemmerichs Plazet finden. Dagegen vermerkt er über einen Regie-Riesen wie Peter Stein nur, dass er bei Kritikern keinen großen Anklang fand und sich sein Verhältnis zu Mortier aufgrund von Finanzquerelen verschlechtert haben soll. Ebenso mag man sich an der hohen Anerkennung für zeitgenössische Musiktheater-Produktionen in der Ära Flimm reiben. Ob Rihms Dionysus nun tatsächlich ein „Großereignis“ war? Naja.
Kirsten Liese