Gustav Mahler

10. Symphonie

arrangiert von Michelle Castelletti. Ensemble Mini, Ltg. Joolz Gale

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Ars Produktion
erschienen in: das Orchester 12/2021 , Seite 76

Zahlreich und vielfältig sind mittlerweile die Versuche, Mahlers nachgelassene Skizzen einer fünfsätzigen 10. Sinfonie in eine spielbare „Als-ob-Fassung“ aus des Meisters Hand zu bringen. Ernst Krenek versuchte sich daran, bearbeitete Adagio und Purgatorio, uraufgeführt 1924. 1960 stellte Deryck Cooke eine „Aufführungsversion der Skizzen“ des ersten, dritten und fünften Satzes her. Vier Jahre später folgte seine Spielfassung der vollständigen Sinfonie, die namhafte Orchester und Dirigenten in ihr Repertoire aufnahmen. Später überarbeitete der Engländer diese Fassung noch zweimal. Der Weisheit letzter Schluss war das aber noch lange nicht.
Weitere Endhersteller versuchten sich am Nachlass. Zu ihnen gesellte sich die maltesische Dirigentin, Komponistin und Sängerin Michelle Castelletti, die das Opus, basierend auf der Cooke’schen Fassung, für Kammerorchester arrangierte – speziell für das couragierte 16-köpfige Ensemble Mini aus Berlin, das von dem englischen Dirigenten und Arrangeur Joolz Gale geleitet wird, der sein Handwerk u. a. bei John Eliot Gardiner gelernt hat. Dessen Credo, im Orchesterklang größtmögliche Transparenz zu erreichen, fiel bei Gale auf fruchtbaren Boden. Und so kam dieser auf die Idee, große Orchesterwerke in Bearbeitungen mit einem Kammerensemble aufzuführen. Ganz in der Tradition eines Arnold Schönberg, der anno 1918 in Wien den Verein für musikalische Privataufführungen gründete und Werke von Bruckner, Mahler oder Richard Strauss entsprechend bearbeitete.
Nun also Mahlers Zehnte, die durch die kleine Besetzung (Streichquintett, einfacher Holzbläsersatz, Trompete, Akkordeon, Klavier, Harfe und Schlagwerk) enorm an Ausdrucksintensität, Erkennbarkeit von Strukturen und klanggeschärfter Expressivität gewinnt. Faszinierend zu hören, dass der Klang nicht ausgedünnter, sondern eher konzentrierter wirkt.
Aber kommt diese Version den Intentionen Mahlers wirklich näher, der mit der Zehnten einen großen Schmerz- und Klagegesang anstimmen wollte, nachdem er vom Verhältnis seiner Gattin Alma mit dem Architekten Walter Gropius erfahren hatte? Tiefe Verzweiflung durchzieht das Hinterlassene. Wollte Mahler seine Erschütterungen, das Apokalyptische oder die hysterische Lyrik vielleicht doch mit großbesetzter Ausdrucksgeste komponieren? Wir wissen es nicht. Letztlich zählt nur das auf dieser SACD Gehörte.
Die Vorzüge dieser Einspielung sind im einleitenden Adagio ein analytisches, klanggeschärftes, überaus drängendes Musizieren, eine betont dissonante Harmonik und ein Abgesang wie mit Fragezeichen versehen. Grotesk und voller kecker Turbulenzen zeigen sich die beiden Scherzi (2. und 4. Satz), liedhaft und mit fegefeuerischem Mäandern zwischen Himmel und Hölle der dritte, während das zerklüftete Finale mit düsteren und lieblichen Erinnerungsepisoden nicht sparend in den weihevollen, breit dahinströmenden Abgesang mündet. Für finale Hörmisslichkeiten im Betriebsablauf des Dekodierens sorgen leider viele Aussetzer, Tonsprünge und Verzerrungen. Nicht benutzerfreundlich: das ausschließlich in Englisch verfasste Booklet.