Paul Hindemith

1. Streichquartett C-Dur

hg. nach dem Text der Paul-Hindemith-Gesamtausgabe von Giselher Schubert, Partitur und Stimmen

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Schott, Mainz
erschienen in: das Orchester 7-8/2025 , Seite 73

Wie doch nur die Zeit vergeht. Denn die vorliegende Ausgabe eines der ersten großen Werke von Paul Hindemith (1895–1963) ersetzt nun eine Erstausgabe aus dem Jahr 1994, die damals schon eine kleine Sensation war. Damals, in den 1990er-Jahren, als es langsam opportun erschien, sich nicht mehr nur feuilletonistisch, sondern auch wissenschaftlich mit Hindemith und seinem Œuvre auseinanderzusetzen. Der Schatten Adornos wirkte noch nach, da war musikalisch schon längst entschieden, dass gerade der junge Hindemith als ein Meister seines Fachs zu entdecken war, dessen musikalische Sprache sich von Werk zu Werk rasant entwickelte, ohne mit der Tradition radikal zu brechen. Selbst in der Linearität der 1920er-Jahre, die nicht immer eine chromatische war, wirkt Hindemiths Satz noch immer gebunden.
Nachvollziehen lässt sich dieser Weg am wohl deutlichsten in den fünf (frühen) Streichquartetten, die mit erstaunlicher Regelmäßigkeit entstanden, nicht aber für die jeweiligen Formationen, in denen Hindemith auf der Violine (Rebner-Quartett) und dann auf der Viola (Amar-Quartett) spielte. Die chronologischen Verhältnisse sind komplex: Zwischen dem am Konservatorium in der Klasse von Bernhard Sekles entstandenen op. 2, dem hinter den Frontlinien im Ersten Weltkrieg niedergeschriebenen op. 10 (1918), dem richtungsweisenden und zum Durchbruch verhelfenden op. 16 (1920), dem frech-forschen op. 22 (1921) und dem konsequent linearen op. 32 (1923), mit Fuge und Passacaglia als rahmenden Sätzen, liegen Welten – und doch ist es ein Weg, der schon im frühen Schaffen angelegt scheint. Denn das Streichquartett C-Dur op. 2, im besten Sinne und gerade in dieser Gattung ein fulminantes Gesellenstück, weist bereits Tendenzen auf, die sich erst später als Stileigentümlichkeiten manifestieren. Nach rückwärts blickt noch der Kopfsatz mit seinem folkloristisch-tanzhaften Charakter – ähnliche Formulierungen findet man bei Dvořáks Streichquartett F-Dur op. 96 und in Schönbergs ebenfalls frühem Streichquartett D-Dur von 1897. Aber schon der langsame Satz (ein Trauermarsch) dürfte in seiner Art im Streichquartettrepertoire einzig sein. Unter der flirrenden Oberfläche des Scherzos verbirgt sich ein geradezu avantgardistisches, polyfones, von Chromatik durchdrungenes Stimmgefüge; das überraschende Finale entstand unter höchstem Zeitdruck. Jahre später kommentierte Hindemith das Streichquartett in seinem autografen Werkverzeichnis ebenso differenziert wie distanziert: „Das war kurz vor dem Krieg und im ersten Kriegsjahr. Den ersten Satz habe ich bald verachtet, weil er so altmodisch war – aber stolz war ich besonders auf die letzten beiden.“
Michael Kube

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