Seel, Daniel N.

…civitatem sed futuram inquirimus

Eschatologische Musik nach Heb 13, 14 für Orchester, Studienpartitur

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Verlag Neue Musik, Berlin 2013
erschienen in: das Orchester 03/2014 , Seite 72

Beinahe prophetisch wirkt die Musik, die Daniel N. Seels Partitur entspringt, und dies nicht nur, weil ihr programmatischer Titel …civitatem sed futuram inquirimus (…denn wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir) aus dem Hebräerbrief stammt und die Musik eine eschatologische (endzeitliche) sein soll, sondern vielmehr, weil sie sich wie aus dem Nichts, einer Art Urgrund, langsam emporhebt, einen weiten Bogen bis hin zu einer zerstörerisch anmutenden Klangexplosion zieht, um dann, quasi „reingewaschen“ von sämtlichen Irritationen und dramatischen Entwicklungen, wieder im Nichts zu verschwinden.
Ursprünglich hatte Daniel N. Seel, der in Karlsruhe, Berlin und Seoul (Südkorea) Klavier, Komposition (u.a. bei Wolfgang Rihm und Walter Zimmermann) und Traditionelle Koreanische Musik studiert hat und
heute als Pianist und Komponist tätig ist, lediglich einem Kompositionsauftrag des Saarländischen Rundfunks und der Saarbrücker Musikhochschule nachgehen wollen, als der plötzliche Tod seines nahen Freundes Theo Brandmüller, Professor für Komposition, Analyse und Orgelimprovisation an der Saarbrücker Musikhochschule, im November 2012 ihn dazu bewog, dieses Werk dessen Andenken zu widmen. Brandmüller hatte Seel noch zu Lebzeiten gebeten, sein Auftragswerk auf die Musik des Jubilars Ligeti zu beziehen, sodass sich nun tatsächlich Anklänge an dessen Klangsprache in den ruhig atmenden Clusterklängen und den atonalen, vierteltönigen Schwebungen von Seels Komposition wiederfinden. Immer wieder laden die ausgedehnten Fermaten, die sich durch das gesamte Stück ziehen, dazu ein, dem eben Gehörten noch einmal nachzuspüren. Zusätzlich bergen sie teilweise eine enorme Spannung in sich, die sich erst kurz vor Schluss in einer ffff-Passage entlädt. Knapp 15 Minuten und 138 Takte braucht dieser Klangbogen, um – mit Cis, Theo Brandmüllers Lieblingston, beginnend – abermals in strahlendem Cis-Dur zu verglühen.
Auch wenn Seels Werk vor allem aufgrund diffiziler Schlagwerkpassagen nur von Profiorchestern zu bewältigen ist, geht es ihm keineswegs um Virtuosität, der Klang steht stets im Vordergrund, das flächige Auf- und Abebben, Crescendieren und Diminuieren in verschiedenen Instrumentalgrundierungen. Allein schon die Besetzung lässt dies vermuten: ein gut bestückter Bläserapparat aus Flöte, Oboe, Klarinetten, Fagott, Hörnern, Trompete, Posaune und Tuba sowie Mandoline, Gitarre, Harfe und Celesta, Streicher und dreifaches Schlagzeug.
2013 fand die fulminante Uraufführung von …civitatem sed futuram inquirimus mit dem Orchester der Musikhochschule Saarbrücken unter Beteiligung des Saarländischen Rundfunks statt. Bleibt zu hoffen, dass Seels Komposition weitere Interessenten findet, die sich ihm ebenso leidenschaftlich, mutig und konzentriert widmen.
Kathrin Feldmann