Reinhard Piechocki
„Unter Blumen eingesenkte Kanonen“
Chopins Musik in dunkler Zeit (1933-1945)
Eben hörte ich Hitler 45 Minuten sprechen. Bin tief erschüttert. [
] Das ist Wahrheit einer tief empfindenden und entflammten Menschenseele. Hitler sprach mir aus der Seele über die Kunst. Diese Zeilen der deutschen Pianistin Elly Ney (1882-1868) von 1933 befremden auch heute noch. Wie auch andere Künstler ließ sie sich bereitwillig in die NS-Propaganda und deren Weltbild einspannen. Jedoch: Als sie Anfang 1939 in Dresden ein Chopin-Stück wegen ihrer nun strikt antipolnischen Haltung nicht spielen wollte, protestierte das Publikum. So ratterte sie den großen As-Dur-Walzer nur so runter, erinnert sich Martin Walser.
Solche und viele andere Episoden finden sich in Reinhard Piechockis neuem Buch. Darin dokumentiert ist die Rezeption der Musik Frédéric Chopins in Nazi-Deutschland, aber auch im deutsch besetzten Polen sowie in den Konzentrationslagern. Zu Beginn der Nazi-Herrschaft war die deutsche Regierung ja bemüht, Polen gegen Russland mit ins Boot zu holen es gab sogar eine Kooperation zwischen polnischen und deutschen Rundfunkanstalten bei Chopin-Ausstrahlungen. Als Propagandafigur war Chopin willkommen. Dessen musikalischer Kampf gegen die schlachtenden russischen Unterdrücker 1830/31 wurde im Propagandafilm Abschiedswalzer (1934) medientauglich inszeniert. Doch zur deutsch-polnischen Verbrüderung kam es nicht. Deutschland fiel in Polen ein und sprengte 1940 das Chopin-Denkmal in Warschau.
Doch anders als im Fall Mendelssohn dessen Denkmal-Zerstörungen in Leipzig und Düsseldorf mit einem absoluten Boykott seiner Werke einhergingen war Chopins Musik selbst nach dem Polenfeldzug in deutschen Konzertsälen weiterhin beliebt, untermauert Piechocki. In der Saison 1940/41 wurden 117 Chopin-Werke 331 mal gespielt! 1941/42 wurde das sogar noch gesteigert. Offenbar waren seine Werke im Repertoire und in der Publikumsgunst so fest verankert, dass sie jeder Propaganda trotzten auch wenn das Kopfthema der As-Dur-Polonaise zugleich zum Erkennungszeichen des polnischen Widerstands wurde.
So ist es nur schlüssig, dass der Autor auch die Begegnung des halb verhungerten polnisch-jüdischen Pianisten Wladyslaw Szpilman mit dem deutschen Offizier Wilm Hosenfeld in Warschau schildert. Die Szene wurde durch den Polanski-Film Der Pianist (2002) weltberühmt. Wie Szpilman in seiner Autobiografie berichtete, spielte er aber nicht die g-Moll-Ballade (wie im Film), sondern Chopins cis-Moll-Nocturne.
Das in 24 kurze Kapitel eingeteilte Buch lässt sich gut peu à peu lesen oder als Nachschlagewerk benutzen, etwa wenn man sich an das Schicksal des deutsch-niederländischen Pianisten Karlrobert Kreiten erinnern möchte. Ergreifend sind die Kapitel über die in Konzentrationslagern eingesperrten Künstler wie die Pianistin Edith Kraus (1913-2013). Chopins Musik war auch Hoffnung in dunkler Zeit auf polnischer wie auf deutscher Seite.
Matthias Corvin