Freitag, Günther
Brendels Fantasie
Roman
Ich hatte immer das Gefühl, ich spiele aus freien Stücken. Und jetzt höre ich aus freien Stücken auf. Mit diesen Worten kündigte der Pianist Alfred Brendel im vergangenen Jahr seinen Rückzug vom Konzertpodium an und feierte seinen Abschied mit einem Auftritt am 18. Dezember 2008 in Wien. In Vorträgen, Lesungen und Gesprächen will er jedoch der Öffentlichkeit erhalten bleiben und dabei seine zweite Neigung zur Literatur kultivieren. Brendel, der bereits mit Büchern über Musik, aber auch mit Gedichten als Autor an die Öffentlichkeit trat, ist darüber hinaus nun selbst zur Titelfigur eines Romans geworden. “Brendels Fantasie” überschreibt der österreichische Autor Günther Freitag sein vergnüglich zu lesendes Buch, in dem der berühmte österreichische Pianist die wenn auch wie Becketts Godot abwesende Zentralfigur bildet.
Die äußere Szene beherrscht derweil ein Brendel-Bewunderer: der Fabrikant Höller, der auf seine letzten Tage zum Aussteiger wird. Einen inoperablen Gehirntumor hat man ihm diagnostiziert, und im Angesicht des nahen Todes scheint ihm das bisherige Leben nichtig: die Firma, seine Frau, die als erfolgreiche Anwältin ohnehin ihre eigenen Wege geht, und die beiden Kinder, der karrieregeile Sohn und die versponnen-unpraktische Tochter werden ihm gleichgültig. Den letzten Funken Lebenssinn zieht er aus der Klaviermusik Schuberts, zu der er sich nun flüchtet.
Eine Obsession ergreift Besitz von ihm: Für jedes Kunstwerk existiert der ideale Ort, an dem es präsentiert werden kann. Im Falle von Schuberts “Wanderer-Fantasie” ist Castelnuovo bei Siena für Höller der auserkorene Ort und Alfred Brendel der einzig mögliche Pianist für ihre endgültige Interpretation, die dort in Anwesenheit der musikalischen Kennerschaft der ganzen Welt spektakulär in Szene gesetzt werden soll.
Skurrile Züge entwickelt, was Höller plant und unternimmt, um sein Hirngespinst zu realisieren. Den Abriss und Neubau des Gemeindehauses möchte er durchsetzen (in diesem Mussolinibau würde Brendel niemals spielen), eine Straße lässt er auf eigene Kosten teeren, und voreilig beginnt er, die lemurenhaften Bewohner eines Altersheimes als Saaldiener für den großen Auftritt zu verpflichten, dieweil er von Tag zu Tag vergeblich auf dem Postamt des Orts die zustimmende Antwort Alfred Brendels erwartet.
In der Schwebe bleibt, was Realität ist, was nur noch Fieberträume eines Menschen, dessen Wirklichkeitssinn längst durch zunehmend höher dosierte Schmerzmittel getrübt ist. Franz Kafka und Thomas Bernhard scheinen die literarischen Paten von Günther Freitags Roman, der allerdings weder so unheimlich noch so schwarzgallig wirkt wie oft deren Prosa, sondern vielleicht noch mit einem Schuss Herbert Rosendorfer angereichert leicht komponiert ist, sodass man ihn gerne in einem Zug durchliest.
Gerhard Dietel