Sergiu Celibidache. Die Orchesterkonzerte
Es ist fast eine Ironie des Schicksals: Kaum ein anderer Musiker lehnte jegliche Konserve derart strikt ab wie Sergiu Celibidache, und doch ist ausgerechnet er einer der meist gefilmten Künstler mit einer beachtenswerten, stets noch wachsenden Diskografie. Jüngst erschien nun eine Kassette mit Aufnahmen des Mitte 40-jährigen Celibidache aus den Jahren 1957 und 1958, in denen er als Gastdirigent das WDR Sinfonieorchester Köln leitete. Dass er in diesen Jahren noch ebenso temperamentvoll und feurig als fulminant tanzender Heißsporn gewirkt haben muss wie in seinen Berliner Jahren, das lassen vor allem die Tempi ahnen, die sich mit wachsender Reife und zunehmender Abgeklärtheit in späteren Jahren deutlich verlangsamten. Eine Entwicklung, die sich vor allem im Vergleich unterschiedlicher Mitschnitte von Brahms Erster zeigt.
Was dynamische und vor allem farbliche und gestalterische Details angeht, durch die sich der große Klangmagier auszeichnete, fällt der Vergleich jedoch nüchterner aus, da das Label Orfeo die wiederentdeckten Bänder aus den Archiven des WDR leider in einer sehr mangelhaften technischen Qualität vorlegt. Viel mehr als das grobstoffliche musikalische Gerüst vermittelt sich dem Hörer nicht. Dumpf wie unter einer Glasglocke, steril und leicht blechern wirkt der Orchesterklang. Das geht aufs Konto des digitalen Remasterings sowie vermutlich auch auf die Sorgfalt, die dabei an den Tag gelegt wurde.
Besonders schmerzlich wirkt sich das auf die impressionistische, schwebende Sphärenmusik Ravels aus, deren feine Obertöne sich ohnehin schon nicht mit Mikrofonen einfangen lassen, was schließlich auch einer der Hauptgründe war, weshalb Celibidache Studioaufnahmen grundsätzlich ablehnte. Wenn sich zumindest aber die dynamischen Schattierungen und der Farbenreichtum bei den Holzbläsern etwas vermitteln würde wie in den späteren, technisch überzeugenden Aufnahmen mit den Münchnern! Die anrührenden Soli (wunderbar: Agnes Giebel!), sie atmen einfach nicht. Auch bleibt die von Celibidache stets geforderte Kultiviertheit und Kompaktheit im Fortissimoklang auf der Strecke.
Welche Klasse das WDR-Orchester damals besaß, fällt angesichts solcher Mängel schwer zu beurteilen. Beim Hören der elegischen, langsamen Sätze von Tschaikowskys Pathétique ist man trotz unnötiger Dolbyeffekte und Rauschfilter streckenweise sehr berührt. Die breite Bogenstrichkultur für alles Russische, wie Celi sie später mit seinen Münchnern exzessiv kultivierte, sie kommt hier bereits zum Tragen. Allerdings ahnt man auch, dass die tiefen Streicher zu dieser Zeit in punkto Homogenität den heutigen Standards eines Spitzenorchesters noch nicht ganz entsprachen.
Zu den Stücken, die beim Remastering noch am besten abschneiden, sodass zumindest ein transparenter Orchesterklang vernehmbar ist, zählen Hindemiths Sinfonische Metamorphosen über Themen von Carl Maria von Weber und Boris Blachers Paganini-Variationen op. 26. Das ist ein Glücksfall, denn gerade von diesen Stücken existieren keine alternativen Aufnahmen mit Celibidache und anderen Klangkörpern. Der große historische Wert der vorliegenden Konzertmitschnitte ist unbestritten.
Kirsten Liese


