Fever

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Upsolute Music Records UMR 119
erschienen in: das Orchester 10/2009 , Seite 69

Diese CD überrascht in mehrfacher Hinsicht. Zum einen wegen des Gegenwart-Repertoires, das die vier Musiker (Joerg Widmoser und Winfried Zrenner/Violine, Andreas Höricht/Viola und Jost-H. Hecker/Cello) ausgewählt haben. Zum anderen wegen der Tatsache, dass sich alle Mitglieder des Quartetts als Komponisten oder Arrangeure „outen“, dass sie das kompositorisch-technische Handwerk verstehen und beherrschen. Drittens wegen der Stücke, die scheinbar ohne Zusammenhang ablaufen – von Gershwins Hit “Summertime” (bearbeitet von Widmoser) bis zu Schuberts “Erlkönig” (neu gefasst von Zrenner), von Strawinskys “Infernal Dance” (Hecker) bis zum titelgebenden Fever (Höricht), von Widmosers zeitkritischem “Signal Konsumrauch” bis zur “Mozart-Hommage” (Höricht).
Dennoch hat man beim Hören nicht den Eindruck, einer wilden, zufälligen oder gar heterogenen Mixtur zu begegnen. Der Klang, den das renommierte Quartett in jedem der zehn Stücke anstrebt, ist fetzig, swingend, jazzig, grenzüberschreitend. Man wartet jeweils gespannt auf das folgende Werk. Wie respektlos und fantasievoll gehen Widmoser und Co. mit der Klassik oder Romantik um? Oder mit Ohrwürmern des 20. Jahrhunderts?
Die Antwort ist so schlicht wie überzeugend: Das Ensemble weckt bei sich selbst zunächst die Freude an Ungehörtem, an Verarbeitung, an neuem Sound, ohne nach rechts oder links auf den persönlichen Komponistenpfad der jüngeren Epoche zu schauen. Man bedient sich beim Minimalsound oder bei Zigeuner-Drive, bei Swing oder bei den zeitgenössischen Mitteln der expressiven, pluralistischen Sprache. Und in diesem gemeinsamen Verständnis klingt dann doch das 70-Minuten-Produkt nach Absprache, nach einem Nenner, auf dem sich alle wiederfinden.
Doch ungeachtet der Kompositionen mit ihren verschiedenen Konzepten und Ansätzen, die sich wiederholen oder variiert werden: Das eigentliche Ereignis bildet die heftige Musizierlust von Widmoser, Zrenner, Höricht und Hecker. Man wird mitgerissen vom Sog und der Suggestion dieser exzellenten Crew. Da stören keine technischen Unzulänglichkeiten, keine unterschiedlichen Auffassungen, keine ehrgeizigen Selbstfindungsprozesse – alle „ticken“ auf der gleichen Wellenlänge. Man wird einbezogen in den Geist der Überraschungen, mit dem das Modern String Quartet hier seine Seitensprung-Aufwartung macht. Langeweile, Monotonie, die Leere des Nur-Eleganten? Von wegen. Bei diesem Team sitzt jede Note. Man spürt, wie die Vierer-Bande diebische Freude an dieser Einspielung hat.
Grenzüberschreitung mal auf der Streichquartett-Ebene. Das kommt selten genug vor. Zumal mit diesem Eifer und Temperament, die die „Modernen“ bei ihrer Überraschungs-CD an den Tag legen. Deshalb die Bitte: mehr davon! So reizt man mit eigenen Optionen die Standard-Grenzen der klassischen und traditionellen Quartettmusik aus. Die Schluss-Aufnahme Fever könnte sogar ein echter Hör-Hit zwischen E- und U-Musik (wenn man mal wieder solche Einordnungen zulassen will) werden.
Jörg Loskill
 

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