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Rubrik: CDs
Verlag/Label: Ensemble Modern Medien EMCD-006
erschienen in: das Orchester 10/2009 , Seite 67

Auf seinem Konzept-Album geht Michael M. Kasper, Cellist im Ensemble Modern, den Weg von der Tonalität über die Geräuschhaftigkeit und die Entpersonalisierung der Musik – und verschwindet.
Mit klassischem, rundem Cello-Klang präsentiert Kasper zunächst György Ligetis Sonate für Violoncello solo (1948-1953). Dabei arbeitet er im „Dialogo“ sehr differenziert die schlichte Schönheit der Linien heraus und versteht es, die verschiedenen Ebenen des verspielten „Capriccio“ trotz dessen Sprunghaftigkeit zu einem einzigen großen musikalischen Bogen zu verschmelzen.
Einen schönen klangvollen Ton fordert die zwölftönige Sonate für Cello solo (1960) von Bernd Alois Zimmermann nur zum Teil. Weitet sich hierbei die Spieltechnik schon vielfach ins Geräuschhafte aus, kommt Kasper mit Helmut Lachenmanns “Pression” für einen Cellisten (1969) ganz bei Mikrointervallen und der Emanzipation des Geräuschs an. Technisch steht er so hervorragend über dem Geforderten, der Vielzahl neuer Spieltechniken, dem erweiterten Gebrauch des Instruments um komplexere Bogenführung, Beklopfen, Reiben, Streichen des Instrumentenkorpus, dass er auch diese beiden Werke überzeugend und mitreißend gestalten kann.
Den Weg durch die musikalische Entwicklung des Jahrhunderts setzt Kasper mit Michael Gordons “Industry” (1992) in Richtung elektronischer Klangerzeugung fort. Die klangliche Verfremdung des Instruments durch elektronische Verzerrung und Verstärkung impliziert die Entmenschlichung der Musik und Entpersonalisierung des Spielers. Nimmt man dies – auch durch die Härte und zunehmende Lautstärke des Klangs sowie die motivische Gleichförmigkeit – als nervenaufreibend und sogar bedrohlich wahr, erscheint die anschließende “Clapping Music” (1972) von Steve Reich fast harmlos. Geklatscht mit Jagdish Mistry, Geiger im Ensemble Modern, kommt sie gänzlich ohne Instrumente aus. Konzentriert auf die feinen rhythmischen Verschiebungen setzt das Werk die inhaltliche Linie der CD fort: Melodie und Tonhöhe – und vor allem das Instrument – sind abgeschafft.
Hatte man sich bis hierhin gewünscht, man könnte nicht nur zuhören, sondern auch zusehen, um die verschiedenen Spieltechniken auch visuell zu erfassen, stellt sich beim abschließenden Werk, Alvin Luciers “RPM’s” (1987), automatisch ein Bild ein. Komponiert für einen Aston Martin mit Sechszylinder-Motor (hier uminstrumentiert für Jaguar) verschwindet nach dem Cello nun auch der unmittelbar menschliche Ausdruck.
Sich im eigenen Album als Musiker zu eliminieren, zeugt von Witz und Selbstironie. Dies und das unbemühte, schlüssige Konzept, gepaart mit dem hohen musikalischen Niveau, machen das Album zu einem echten Vergnügen. Besonders empfohlen sei es all jenen, die erfahren wollen, was sich aus einem Cello, den eigenen Händen und einem Gaspedal so alles rausholen lässt.
Astrid Bernicke

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