Der Frankfurt Sound
Klingende Momentaufnahmen (aus) einer Jazzstadt und deren Jazzgeschichte: Hinter den Interpretennamen dieser CD verbergen sich Jazzlegenden ebenso wie Local Heroes. Denn die Wege vieler Musiker haben sich hier besonders während der 50er und 60er Jahre gekreuzt, als die Mainmetropole Frankfurt zur deutschen Jazzhauptstadt schlechthin avancierte. Die Kompilation präsentiert zum Teil unveröffentlichte) Aufnahmen von Albert und Emil Mangelsdorff, Volker Kriegel, Heinz Sauer, Family of Percussions, hr Big Band, Ralf Hübner und andere mehr.
Verantwortlich für die Zusammenstellung zeichnet der Musikwissenschaftler und Jazzmusiker Jürgen Schwab. Die CD bezieht sich auf sein preisgekröntes Buch Der Frankfurt Sound. Eine Stadt und ihre Jazzgeschichte(n). Hier konnte der interessierte Leser bereits Einblicke in die entsprechende Szene gewinnen und Musikerpersönlichkeiten sowie immer wieder neu entstandene Jazzformationen, die in Frankfurt von sich hören machten, kennen lernen. Dabei spannt das Buch den historischen Bogen von den Anfängen in den 20er Jahren, über die Zeit des Dritten Reichs bis hin zur Gegenwart. Ergänzend zum Buch und einer korrespondierenden, erfolgreichen Ausstellung legt Schwab nun bei INFRACom! Records (Frankfurt/ Main) diese klingende Dokumentation in ausgewählten Stationen vor.
Zu hören sind beispielsweise Volker Kriegel mit The E again aus dem Album Missing Link von 1972, dessen ruhig schwebender Aufbau über einer kreisenden Bassfigur durch freie Ausbrüche immer wieder kontrastiert wird; und Albert Mangelsdorff mit Club du Trois, einem Titel von 1967, dessen posaunengesteuertes Riff nach nahezu 40 Jahren! zeitlos enervierend klingt. Die hr Big Band ist mit Michelangelo, einer bisher unveröffentlichten Aufnahme, vertreten; gefolgt von Gabissimo mit Vitold Rek (Bass) und Karl Berger (Piano), die eine wunderbar intime Duo-Ballade über 6 Minuten 30 Sekunden beisteuern. Außerdem finden sich das tangoinspirierte Check it mit Fifty Fingers um den Gitarristen Ali Neander, Que Pasó, ein sattes Latin-Arrangement der Freien Frankfurter Jazz Big Band um den Schlagzeuger Thomas Cremer sowie das leichtfüßig swingende Achtelberger mit dem legendären Gittaristen John Schröder und Christopher Dell (Vibrafon). Und der bislang unveröffentlichte Titel No Problem mit Emil Mangelsdorff und dem Fritz Hartschuh Quartett von 1954 kommt daher wie eine vermeintliche Rare-Groove-Nummer aus späteren Jahren. Des Weiteren kann man neben anderen das European Groove Orchestra (EGO), das hr Jazz-Ensemble sowie die historische Aufnahme Harlem (von 1941) als Hidden track hören. Mit der Komposition Kiesers Exchange von Heinz Sauer erklingt schließlich auch eine Hommage an den kongenialen Grafiker Günter Kieser, der dem Frankfurter Jazzfestival mit seinen Plakaten ein unverwechselbares optisches Erscheinungsbild gegeben hat.
Die CD erscheint im Design eines Buchs mit Hardcover. Der interessierte Hörer findet also auch Fotografien und Grafiken aus der Buchvorlage und vor allem ausführliche Linernotes, für die man besonders dankbar ist, weil sie die zum Teil vielfachen Querverbindungen zwischen den Interpreten bzw. Ensembles offen legen. Solcherart und im hörenden Durchgang durch die insgesamt 15 Musik-Stationen lässt sich hier der jazzinspirierte Frankfurt Sound sehr lohnend und gleichsam von innen her erkunden.
Gunther Diehl