Indorf, Gerd
Beethovens Streichquartette
Kulturgeschichtliche Aspekte und Werkinterpretationen
Wonach ich frage, selbstverständlich, ist nicht, ob Sie das weltweite Erstaunen angesichts der Form des cis-moll-Quartetts teilen, so der Interviewer glenn glould zu dem sich selbst über Beethoven befragenden Glenn Gould (1972), ich frage, ob Sie sich das Stück gern anhören? Und Gould ohne Umschweife: Nein. Die provozierend aufrichtige Ablehnung des sich selbst in die Enge treibenden kanadischen Querdenkers deckt sich immerhin mit der überwiegenden Resonanz der Konzertgänger zur Zeit Beethovens und dürfte man geht wohl nicht fehl in der Annahme ebenso nicht weit von der Mehrheit des heutigen Publikums entfernt sein. Beethovens späte Streichquartette, lange nach der totalen Ertaubung des Komponisten geschrieben die ungenierte Verknüpfung besonders dieser Werke mit Beethovens Gebrechen geschah bereits zu seinen Lebzeiten , gelten auch heute noch weitgehend als schwierige Werke.
Die Entwicklung des Streichquartetts bei Beethoven von op. 18 (Komposition ab 1799) bis zu
op. 135 (Uraufführung 1828) läuft parallel mit der Loslösung dieser Kammermusikbesetzung vom intimen, meist adeligen Kreis von Musikliebhabern hin zum öffentlichen Konzert. Gerd Indorfs Publikation zum Komplex der Beethoven-Werke für Streichquartett beginnt daher mit einer umfangreichen kultursoziologischen Studie zur Frage des musikalischen Umfelds in Wien um 1800 und seiner Veränderungen in den ersten beiden Jahrzehnten des neuen Jahrhunderts. Diese ebenso erhellende wie reich dokumentierte Untersuchung ebnet den Weg zu den eigentlichen Werkanalysen, die im zweiten Teil des Buchs folgen, und machen das Ganze zu einer spannenden Lektüre mit hohem Erkenntnisgewinn.
Als Beethoven in Wien begann sich mit der Gattung zu befassen, war er bereits im 30. Lebensjahr und als Pianist wie auch als Komponist von Kammermusik eine bekannte Größe. Das Streichquartett war von Haydn und Mozart mehr oder minder standardisiert und zur ersten Blüte gebracht worden, befand sich aber in der musikalischen Praxis noch fest in der Hand adeliger Gönner. Es war von einem besonderen kompositorischen Qualitätsanspruch geprägt, auch wenn es meist Dilettanten (also Nicht-Berufsmusiker) waren, die die Werke musizierten. Erst mit Beethoven begann dieser Anspruch die Möglichkeiten von Laienmusikern zu übersteigen und die Besteller und Förderer dieser Kunst (Lichnowsky, Lobkowitz, Rasumowsky und andere), die gelegentlich selbst in die Saiten griffen, überließen das Feld immer häufiger den Profis.
Der junge Ignaz Schuppanzigh war der Mann der Stunde, der 24-jährig ab 1800 regelmäßig bei Rasumowsky oder Lichnowsky auftrat. Aber zum Überleben als Berufsquartettmusiker brauchte er bald zahlende Öffentlichkeit. So veranstaltete er ab der Wintersaison 1804/05 Vormittagskonzerte mit Kammermusik, in denen, wie die Allgemeine Musikzeitung berichtete, nur die vorzüglichsten, ausgezeichnetsten Kompositionen, welche von den Meistern sorgfältig einstudirt, und erst nach einigen Proben öffentlich vorgetragen werden.
Wir probiren immer nur Ihre Quartetten; die Haydnschen u. Mozartschen nicht, die gehen ohne Probe besser, gestand der Geiger und Kanzleibeamte Karl Holz in einem der Konversationshefte Beethovens. Das zeigt die Veränderung deutlich, die mit Beethovens Werken einsetzt. Gerd Indorfs gründliche Untersuchung, die gängigen Lehrmeinungen gelegentlich widerspricht, widmet sich ausführlich den wesentlichen Persönlichkeiten im Umfeld Beethovens, neben seinen adeligen Gönnern vor allem auch den Musikern und Komponistenkollegen dieser Wiener Jahre. Dabei greift der Autor bisherige Forschungen auf und integriert sie in sein umfassendes Gesamtbild, das sowohl komplexe Studie wie auch informativer Konzertführer mit Werkbeiträgen ist.
Matthias Roth


