Dieter David Scholz

Der ganze Wagner

Ein Mosaik. Gesammeltes aus 30 Jahren: Rezensionen, Vorträge, Essays, Kommentare, Nachrufe & mehr

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Königshausen & Neumann, Würzburg
erschienen in: das Orchester 02/2024 , Seite 62

Das Thema „Richard Wagner und der Antisemitismus“ hat den Musikkritiker und Autor Dieter David Scholz fest im Griff. Aus seiner Dissertation entstand ein mehrfach weitergedachtes Standardwerk. Scholz erörterte, dass Wagners teils misanthropische Invektiven gegen Juden „nur“ publizistische Theorie, sein Verhalten im Leben gegen diese aber meist von wohlwollenden, mitunter auch zweckorientierten Zielen bestimmt war. Immer war es Scholz, der das „Pump­genie“, den „Kunstrevolutionär“, den Tierfreund und von manchen als Frauenversteher betrachteten Wagner als den großen Unverstandenen betrachtete. Wagner, das von allen politischen Lagern und Fangemeinden missverstandene Zentralgestirn der europäischen Kultur – bis heute. Nicht selten musste Scholz den Meister gegen krude Regiekonzepte und fragile Sängerleistungen verteidigen. Das tat er mit einem enormen Kenntnisstand und mit Seitenblicken auf Offenbach und Meyerbeer lieber als auf Adorno, Marcuse und Bermbach.
Jetzt hat er eine Sammlung von Vorträgen, Rezensionen und Würdigungen gebündelt – zur Beweisführung und Legitimierung seines Lebenswerks, das um den Mauerfall begann und bei den Sendeanstalten der ARD kulminierte. Mitunter ließen sich Anlass und erstes Erscheinen der Texte nicht mehr ermitteln. Dieter David Scholz war oft präsent, teilte mit knappen Worten und kurzen Sätzen hohes Lob und erbitterten Tadel. Er machte nie ein Hehl daraus, dass für ihn nach Sternen wie Birgit Nilsson und Ramón Vinay kaum andere Gottheiten des hochdramatischen Gesangs vorstellbar waren. Anders als Walvater Wotan, der im Ring des Nibelungen auf einen Paradigmenwechsel durch Siegfried hofft, waren für Scholz – resümiert man diese kürzeren und längeren Beiträge – Aufstiegschancen einer jüngeren Generation ins Wagner-Firmament so gut wie ausgeschlossen. Scholz ist ein Getreuer aus der Nachwelt, der fast nur der Vergangenheit Kränze windet.
Einerseits hat Scholz die Beiträge sorgfältig für die Drucklegung durchgesehen, andererseits weist er auf eventuelle Wiederholungen hin. Gerade weil Scholz als vielgereister Musikkritiker einen außerordentlich weiten Vergleichshorizont hat, ist es bedauerlich, dass er sich in dieser Auswahl auf die von allen Medienvertretungen hinreichend gewürdigten Wagner-Leuchttürme fokussiert. Neben einer Ring-DVD aus Weimar fehlen viele Vorstellungen aus seinem Kernbeobachtungsgebiet Mittel- und Norddeutschland.
Erfreulich wären persönliche Kurzbeobachtungen gewesen, welche Konsequenzen die von Scholz begleitete Epoche der deutschen Wiedervereinigung und die Globalisierung für die Wagner-Rezeption hatten. Hier gilt’s vor allem der Kunst mit dem hohen Anspruch „hart, aber gerecht“.
Roland Dippel

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