Franz Schubert

Symphonie Nr. 5/Symphonie Nr. 6

Münchner Symphoniker, Ltg. Kevin John Edusei

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Sony
erschienen in: das Orchester 04/2020 , Seite 71

In der außergewöhnlichen Geschichte der Münchner Symphoniker begann vor wenigen Jahren ein neues Kapitel: 2014 wurde Kevin John Edusei als Chefdirigent des Orchesters verpflichtet. Der 1976 geborene Edusei hatte zuvor als vielseitiger Operndirigent, als Teilnehmer bei der Dirigentenmeisterklasse der Lucerne Festival Academy von Pierre Boulez und Peter Eötvös und als Stipendiat der Internationalen Ensemble Modern Akademie nachhaltig auf sich aufmerksam gemacht. Sein Faible für originelle Programme und ungewöhnliche Präsentationsformen geben den Aktivitäten des Münchner Orchesters einen besonderen Platz im Kulturleben der Landeshauptstadt. Seit den Tagen des Orchestergründers Kurt Graunke war stets Vielfalt angesagt. Das Repertoire reichte vom Kernbereich der sinfonischen Literatur bis hin zu Operette und Filmmusik. Diesem Konzept ist man treu geblieben, es wird heute ergänzt durch wache Sinne für die stilistischen Besonderheiten der Moderne ebenso wie der Musik des 18. Jahrhunderts.
Aus alledem ist offenkundig eine Orchesterästhetik entstanden, die sich durch Leichtigkeit und Eleganz auszeichnet. Vorzüge, die in der vorliegenden Neuproduktion zweier Schubert’scher Symphonien deutlich zu vernehmen sind. Musiziert wird auf konventionellem Instrumentarium, lediglich die Pauken sind von „historischem“ Zuschnitt. Man habe, so Edusei, bewusst abbilden wollen, „dass der Schubert-Klang ein Klang unserer Zeit“ sei, der sich nahtlos etwa neben Werke des 20. Jahrhunderts stellen lasse. Im klugen CD-Begleittext führt Edusei aus, dass nicht zuletzt die beträchtlichen stilistischen Unterschiede der zeitlich benachbarten Symphonien für die Interpreten einen besonderen Reiz darstellen: Folgt Schubert in seiner 1816 entstandenen Fünften deutlicher als sonst in seinen Symphonien dem Vorbild Mozart, so ist die rund ein Jahr später komponierte Sechste vom in Wien grassierenden Rossini-Fieber affiziert.
Die Münchner und ihr Dirigent präsentieren zwei rundum überzeugende Schubert-Symphonien. Das Orchester ist gut ausbalanciert, alles klingt homogen und zugleich luftig und transparent. Die Bläserfarben leuchten ungetrübt, die Streicher pflegen eine schlanke, von kalkuliertem Vibrato-Einsatz und ausgeprägter Phrasierungskultur geprägte Spielweise. Scharfe Attacken und spritzige Italianità gelingen ebenso gut wie warme, wienerische Kantabilität.
Und was fehlt diesem Schubert? Fast nichts, wobei sich hinter dem verräterischen Wörtchen „fast“ allenfalls der Wunsch nach gelegentlichen Momenten eines „Verweile doch“ verbirgt. Diese Seite der Schubert’schen Musik – jenes aller Stringenz widerstehende Stehenbleiben und Um-sich-selbst-Kreisen, das selbst Schuberts frühe Werke prägt und unverwechselbar macht – kommt im frischen Gestus dieser Interpretationen vielleicht etwas zu kurz. Doch dürfen ein junges Orchester und ein junger Dirigent mit den Werken des jugendlichen Genies ja auch noch weiter wachsen. Mit dieser Produktion ist allemal eine glänzende, auf hohem Niveau musizierte Momentaufnahme gelungen.

Gerhard Anders

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