Albéric Magnard

Symphonien Nos. 3 and 4

Philharmonisches Orchester Freiburg, Ltg. Fabrice Bollon

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Naxos
erschienen in: das Orchester 01/2020 , Seite 75

Die deutsche Erstaufführung seines politischen Opernmysteriums Guercœur entfesselte am Theater Osnabrück Begeisterungsstürme. Auch Fabrice Bollon, der schon mit der Produktion von Korngolds Das Wunder der Heliane seine Vorliebe für die allerspäteste Romantik unter Beweis stellte, zeigte sich in Freiburg spürbar enthusiasmiert von den beiden letzten der insgesamt vier Sinfonien des 1914 bei einer Auseinandersetzung mit deutschen Soldaten ums Leben gekommenen Franzosen Albéric Magnard. Die dritte war dank einer Einspielung des Orchestre de la Suisse Romande unter Ernest Ansermet im 20. Jahrhundert nicht ganz vergessen; diese kommt im Januar 2020 auch in einem Konzert des Philharmonischen Orchesters Altenburg Gera zur Aufführung.
Das vom ersten bis zum letzten Takt mitreißende Werk ist ein Geheimtipp im nicht so großen Repertoire französischer Symphonik des späten 19. Jahrhunderts. Fabrice Bollon entkräftet die bereits nach dem ersten Hören nicht haltbare Einordnung Magnards als eingleisigen Wagner-Epigonen. Der Schüler von Jules Massenet und Vincent d’Indy steht in Hinblick auf eine gewinnende und dabei kompakte Transparenz des Orchestersatzes, die nur wenige Motiv-Assoziationen an Siegfried und Tristan durchlichtern, weitaus näher an Camille Saint-Saëns als bei Ernest Chausson.
Der Beginn mit Anklängen an modale Motivik führt direkt in ein Klanggeschehen, das quasi auf halber Strecke zwischen Bizets C-Dur-Sinfonie und Canteloubes Chansons de l’Auvergne, allerdings in größerer Besetzung, steht. Magnard wirkt dabei weitaus assoziationsreicher und farbiger, was das Philharmonische Orchester Freiburg mit einer idealen Kombination aus Nachdruck, Leichtigkeit, instrumentaler Leuchtkraft und intelligenter Verve zum Klingen bringt. Deutlich wird dabei vor allem: Magnard ist nur peripher einer der Esoteriker und Décadents im Umfeld des Symbolismus und zeigt neben Debussy, Dukas, Fauré bestandskräftige Originalität. Die Freude an Magnards Musik erschöpft sich auch nicht bei mehrfachem Hören.
Ebenso ungewöhnlich wie die Uraufführungsbedingungen der dritten Symphonie, die Magnard am 14. Mai 1899 in Pariser Nouveau Théâtre mit einem ad hoc zusammengestellten Orchester realisierte, waren die zur vierten am 2. April 1914. Unter der Leitung von Rhené-Baton erklang sie ohne ausreichende Proben durch das Orchestre de l’Union des femmes professeurs et compositeurs, dem Magnard die ausladende Partitur auch widmete. Man hört den zeitlichen Abstand der beiden Werke anhand einiger harmonischer, offenbar vom impressionistischen Lager inspirierten Gewagtheiten, die den Komponisten als aufmerksamen Beobachter seines musikalischen Umfelds ausweisen.
Diese beiden Sinfonien erweitern also das Bild Magnards neben Guercœur um ein farbiges, konturiertes und eigentlich sehr optimistisches Musikverständnis, das sich von den menschheitsdämmernden Gender-Apokalypsen seiner Zeit deutlich abhebt. Dabei steckt in Magnard sogar etwas von der korrekten Verspieltheit Erik Saties. Das Guercœur-Glücksmoment setzt sich hier fort.
Roland Dippel

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