Ludwig van Beethoven
9 Sinfonien
New Philharmonia Orchestra London, Ltg. Otto Klemperer
Ohne Zweifel gehört Otto Klemperer zu den Giganten am Dirigentenpult, hat er doch Interpretation und Rezeption der mitteleuropäischen klassischen und romantischen Sinfonik, und hier besonders der Werke von Beethoven, Brahms und Mahler, vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis hin zu seinem Tod 1973 mehr als 60 Jahre lang maßgeblich mitgeprägt.
Zu Beginn seiner Laufbahn galt der in Breslau geborene und 1933 als Jude aus Deutschland vertriebene Klemperer als radikaler Erneuerer und kompromissloser Verfechter einer neuen Sachlichkeit, zudem als unermüdlicher Förderer und Interpret der Neuen Musik. Als Chef war er gefürchtet. Niemand war vor seinen Wutausbrüchen und wechselnden Launen, geschuldet auch seiner bereits 1911 diagnostizierten manisch-depressiven Erkrankung, sicher. Von 1952 bis zu seinem Tod arbeitete Klemperer vor allem in London mit dem New Philharmonia Orchestra, einem Ensemble, von dem er sich ganz verstanden fühlte und das seine musikalischen Intentionen so genau in Klang umzusetzen vermochte wie kein anderes.
Immer wieder hat sich Klemperer gerade mit Beethoven auseinandergesetzt. Seinen letzten symphonischen Konzert-Zyklus von 1970 haben wir jetzt auf drei DVDs in neuestem UHD-Blu-ray-Format vorliegen, samt eines höchst informativen Beibuchs. Die Techniker haben ganze Arbeit geleistet. Die im Vergleich zu den bisherigen Versionen vierfach höhere Bildauflösung gewährleistet ungewohnte Schärfe. Verblüffend verbessert ist die Klangqualität, die streckenweise fast vergessen lässt, dass es sich im Original um eine 50 Jahre alte Mono-Aufnahme handelt.
Ein Kernpunkt von Klemperers Interpretationsphilosophie war stets die Stabilität des Tempos. Abhold jeglicher sentimentaler „Drücker“, eleganter Glättung und Politur sind seine Darstellungen getragen vom Bestreben, den Komponisten – allein ihn! – sprechen zu lassen. Wesentlich ist nur die „Wahrhaftigkeit“ der musikalischen Aussage. Am Pult sitzend leitet Klemperer sein Orchester mit sparsamer Gestik, scheint den Musikern zuallererst mit größtmöglicher Aufmerksamkeit zuzuhören, um bei Bedarf sorgsam dosierte Impulse zu setzen, eher eine Art nüchterner „Klangverwalter“ als glamouröser Pultzauberer. Man lasse sich aber nicht täuschen. Klemperer ist mit den Blicken bei seinen Musikern, scheint jeden einzelnen Spieler im Bann zu haben.
Die Interpretation ist in der Wahl ausgesprochen gemäßigter Tempi typisch für seinen Spätstil. Sicher, manchen Satz könnte man sich auch virtuoser, jugendlich-flotter vorstellen. Trotzdem hat man in keinem Moment den Eindruck fehlender Spannung. Klemperer besitzt ein untrügliches Gespür für musikalische Proportionen, die dem Orchester abverlangte Rhythmik ist kompromisslos. Insgesamt lässt Klemperer seine Musiker bei aller Kantigkeit sehr klangschön und expressiv aufspielen. Ja, natürlich ist hier live nicht immer alles Apotheken-perfekt, mag der orchestrale Standard heutzutage insgesamt (vielleicht) spieltechnisch noch höher sein. Sei’s drum! Ein Klangdokument höchsten Ranges!
Herwig Zack


